Rezension
Gnomon 2011
Beatriz Avila Vasconcelos' Studie mit dem Titel »Bilder der Sklaverei in den Metamorphosen des Apuleius« ist aus einer Berliner Dissertation (Humboldt Universität 2008) hervorgegangen. Ihr Ziel ist das Verständnis der sprachlichen Zeichen, mit denen in den Metamorphosen auf Sklaven oder abhängige Personen und Wesen verwiesen wird.
Auf eine kurze Einführung zu Werk und Autor (14-18) erklärt die Verf. ihren methodischen Standpunkt (21-23): Sie nimmt eine intratextuelle Untersuchung der Sklaventhematik vor, will aber weder Aussagen über die faktische Wahrhaftigkeit der Darstellung der Sklaverei in den Metamorphosen machen noch einen Schlüssel für die Gesamtinterpretation des Werkes bieten.
Das erste Kapitel des Hauptteils (»Sklaventum in den Metamorphosen des Apuleius«; 29-71) besteht aus einem umfassenden Forschungsüberblick zur Sklaventhematik in den Metamorphosen, der in dieser Vollständigkeit und Ausführlichkeit bislang fehlte und die Relevanz des Themas für die Interpretation der Metamorphosen sowie die Vielfalt der Forschungsansätze unterstreicht. Die Verf. gliedert ihre Übersicht in die vier Kapitel A Realia, B Imaginaria, C Philosophische Anspielungen, D Ernsthaft oder lächerlich?, ohne jedoch die Wahl dieser Kategorien zu begründen (D etwa könnte auch unter B subsumiert oder als neue Kategorie 'Intertextualität' weiter gefasst werden).
Unter 'Realia' werden religiöse Interpretationsansätze (die Frage nach der Bedeutung von Lucius' sklavenähnlicher Unterwerfung unter die Göttin Isis im elften Buch und das Verhältnis des Romans zum Christentum) sowie rechtliche, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Untersuchungen des Romans kritisch besprochen. Unter 'Imaginaria' führt die Verf. Studien zur metaphorischen Bedeutung der Sklaverei in den Metamorphosen an (Psyche als Lucius' Parallelfigur, die Übertragung des Vokabulars des Sklavenwesens auf die Tierwelt, das Motiv des elegischen servitium amoris sowie die Vorstellung des Sklaven als Eselsmenschen). Zu Recht weist sie dabei auf die literarische (insbesondere elegische) Tradition der Skaverei-Termini für die Beziehung zwischen Lucius und Photis hin, die bislang bei der Interpretation des Romans zu kurz gekommen ist (48f).
Unter den 'Philosophischen Anspielungen' subsumiert die Verf. Arbeiten, die sich den platonischen, aristotelischen und stoischen Bezügen des Romans widmen. Hier wird insbesondere der stoische Topos der servitus voluntaria, der freiwilligen knechtischen Unterwerfung der Vernunft unter die Leidenschaften, wichtig, die für die Interpretation des Romans oft fruchtbar gemacht wurde (58f).
Im Kapitel 'Ernsthaft oder Lächerlich?' weist die Verf. auf einen Bereich hin, der vertiefter Forschung bedarf, nämlich das Sklaventum in den Metamorphosen aus der Perspektive des Komischen. Sie regt an, zwei Bereiche naher zu untersuchen. Erstens, inwiefern der Aufbau der Sklavenbilder einem plautinischen Modell folgt (vgl. dazu aber bereits R. May, Apuleius and Drama 2006), und zweitens eine Interpretation der Sklaventopik der Metamorphosen im Vergleich mit dem geschönten Sklavenschicksal, das die Helden der griechischen idealisierenden Romane erfahren.
Das zweite Kapitel des Hauptteils ('Die Signifikation des Sklaven'; 72-139) ist der Frage nach Auswahl und Kategorisierung des Sprachmaterials gewidmet. In einem Unterkapitel (A. 'Das Problem des Signifikates') erklärt die Verf. mit Rückgriff auf Saussure, Eco und Firth die in ihrer Studie verwendete Terminologie (Sprachzeichen/Signifikation). Das ganze Kapitel ist für die Verf. als Grundlage für den Prozess der Abgrenzung und Auswahl des zu untersuchenden Materials wichtig, für den Leser aber wenig ergiebig, zumal das Ergebnis des ausführlichen Exkurses über linguistisch Grundlegendes (vgl. etwa 81-87 über Saussure) nicht mehr ist, als daß alle Termini, die Sklaven bezeichnen, gesammelt und in ihrem Kontext untersucht werden sollen (97). Die Verf. erläutert daraufhin in einem weiteren Unterkapitel (B. 'Terminologie der Abhängigkeit in den Metamorphosen; 96-105) den Aufbau der Tabelle im Anhang (233-263), mit der die Herrschaftsverhältnisse im Roman nach Haushalten (domus) geordnet werden. Die einzelnen Haushalte werden in der Tabelle nach drei Typen unterschieden (M Verhältnis Mensch-Mensch; T Verhältnis Mensch-Tier; D Verhältnis Mensch Magie/Divinitat). Dem Herrn bzw. der Herrin des Haushalts (im weitesten Sinne verstanden: so ist z.B. auch die Sklavin Photis Herrin eines Haushalts, d.h. Herrin über ihren Liebhaber Lucius) dienen die als »Gruppe des Personals« (103) bezeichneten Untergebenen, die sich nicht nur aus eigentlichen Sklaven und Freigelassenen, sondern auch aus Bediensteten von unbe-stimmbarem Status, mythologischen Wesen, Tieren etc. zusammensetzen. Die Zugehörigkeit zum Personal ergibt sich nicht aus dem rechtlichen Status der Betroffenen, sondern strukturell durch das Komplementärverhaltnis zur Herrenfigur und funktional durch Abhängigkeit und Dienstverhältnis. Dadurch können alle mit Sklaven-Termini bezeichneten Wesen in die Tabelle aufgenommen werden, was die Häufigkeit der metaphorischen Verwendung des Sklaventums in den Metamorphosen belegt. Nicht erfasst wird in der Tabelle die tatsachliche Anzahl der einem Herrn unterstellten Bediensteten, was aufgrund der Formulierungen im Text oftmals gar nicht möglich ist (Pluralformen; unpersönliche Ausdrücke; verschiedene Bezeichnungen für dieselbe Person), sondern alle Begriffe, mit denen auf die Untergebenen referiert wird.
Die Verf. systematisiert das in der Tabelle gesammelte Material bereits vorgängig im Hauptteil, jedoch in anderen Kategorien (117-138). Sie unterscheidet in Termini für: 1. die Bindung oder Nichtbindung an die domus; 2. soziale Verhältnisse; 3. Alter und Geschlecht; 4. geographische Herkunft; S. physische und moralische Zustande/Kosenamen; 6. Ausübung einer Funktion; 7. Tiere; 8. natürliche und übernatürliche Elemente; 9. Identität oder Nichtidentität. Wie die Verf. selbst feststellt, ist die Einordnung vieler Termini in die eine oder andere Rubrik möglich; zudem ist der Nutzen dieser ersten Gliederung, die nicht auf die Beantwortung einer Fragestellung zielt, nicht ersichtlich.
Im dritten Kapitel des Hauptteils ('Semantische Aspekte der Sklavereitermini'; 140-217) untersucht die Verf. exemplarisch die semantischen Aspekte eines der vielen gesammelten Begriffe, die sich auf Sklaven beziehen, nämlich servus. Die Verf. nimmt eine Analyse der 17 Belegstellen von servus vor, indem sie zuerst die entsprechende Textpassage zitiert und den Kontext erläutern und danach die semantischen und syntaktischen Beziehungen des Terminus mit anderen Termini im Satz aufzeigt. Im letzten Unterkapitel des dritten Teils fasst die Verf. die aus diesem Stellenkommentar resultierenden Ergebnisse zusammen, indem sie wiederum vier Untergruppierun¬gen vornimmt. Die Verf. kommt zum Ergebnis, dass der Begriff servus in den Metamorphosen vorwiegend mit negativen Assoziationen behaftet ist. Die meisten Zeichen, die sich auf servus beziehen, weisen auf Charakterschwachen (Geldgier, Niedrigkeit, Ungehorsam etc.) und Passivität der bezeichneten Person hin. In der ungezügelten Sexualität und Neigung zum Verbrechen wird der servus-Begriff zudem oftmals mit Frauen und damit mit Unmännlichkeit assoziiert. Die meisten Zeichen dagegen, welche servus im Bereich des Verhältnisses zum Besitzer bestimmen, sind für den Herrn positive Zeichen, die seine Macht und Autorität unterstreichen.
Es folgen eine Zusammenfassung des Buches (218-232), die Tabelle der Haushalte in den Metamorphosen samt Hauspersonal und dessen Bezeichnung (233-263), Bibliographie (264-273) und Register (274-281).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verdienste des vorliegenden Buches im Forschungsüberblick zur Bedeutung der Sklaverei in den Metamorphosen sowie in der Sammlung und Gliederung des umfangreichen Wortmaterials liegen. Die eigentliche Fragestellung, nämlich die sprachliche Untersuchung der Sklaventermini, die die Verf. am Beispiel des Begriffs servus durchführt, ist jedoch trotz ihres theoretischen Überbaus und den verschiedenen Gliederungsversuchen in ihrem Resultat wenig ergiebig und bringt keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich der semantischen Vielfalt des Wortes servus.
Judith Hindermann