Rezension
Lutherische Kirche 12/2016
Die Sprachkraft Luthers wird gern und oft ins Feld geführt, gerade im Reformations-Jubiläumsjahr 2017. Eine schöne Gelegenheit, dies zu überprüfen, bietet das Buch von Hans-Jörg Voigt, Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), der ausgewählte Luther-Texte aus dem »Originalton« sorgfältig an unser heutiges Deutsch angepasst hat.
So sind sie leicht verständlich geworden und bestätigen: Luthers Sprachkraft wirkt auch heute. Die Bilder, die er in Worte fasst, bleiben hängen, zum Beispiel das vom betrunkenen Bauern: »Denn wenn es um den Glauben geht, so geht es uns wie einem betrunkenen Bauern, welcher am Tische sitzt im Wirtshaus: Wenn gepfiffen wird, so schaut er ein wenig auf. Danach fällt sein Kopf wieder nieder.« Weihnachten? Es sollte uns nichts mehr erfreuen, meint Luther, als dass Gott Mensch geworden ist. Aber wir heben vielleicht kurz den Kopf, wie der betrunkene Bauer, und lassen ihn dann wieder auf den Tisch sinken. Dabei, so Luther, sollten alle Herzen vor Liebe zerschmelzen, weil »Gott nicht allein mich liebt, sondern tut sich so nahe zu mir, dass er mit mir ein Mensch wird. Er tritt in die Natur und wird, was ich bin.« Ein bemerkenswerter Gedanke, schreibt Hans-Jörg Voigt: »Christus ist nicht nur unser Geselle, Freund, Schwager oder Bruder geworden, sondern ›er wird, was ich bin‹, (...). Das heißt ja: Christus fühlt, was ich fühle, er leidet, was ich erleide, er hört und erhört, was ich ihm sage. Nichts sollte uns fröhlicher machen als dies! «
Den Luthertexten ist jeweils ein Bibelwort vorangestellt; abschließend folgen dann kurze, einordnende oder erklärende Einführungen. Luthers Theologie, sein Leben, sein Glaube wird in den Texten so aufgegriffen, dass man sehr schnell »mittendrin« ist. Der freie Wille beispielsweise − was für ein kompliziertes Thema, über das sich Luther heftig mit Erasmus von Rotterdam stritt. Bischof Voigt wird in seinen Anmerkungen nicht weniger deutlich: »›Ein bisschen mitwirken muss der Mensch doch zu seinem Heil! Im Bild gesprochen: Der Bettler am Straßenrand muss doch wenigstens seine Hand ausstrecken!‹ So kann man immer wieder auch in Predigten hören oder in Andachten lesen. Aber das ist sehr falsch! So, wie Lazarus tot im Grab lag und nicht einmal mehr mit der kleinen Zehe aus freiem Willen wackeln konnte, als ihn das Wort Jesu erreichte: ›Lazarus, komm heraus!‹ − so ist der Mensch vor Gott. Geistlich Tote sind wir, bis uns der Anruf Gottes in seinem heiligen Wort erreichte und uns wiedergeboren hat aus Wasser und Geist in der heiligen Taufe.« Einen eigenen zusätzlichen Impuls zum Nachdenken geben die Bilder, mit denen die junge Künstlerin Marie-Luise Voigt den Abschnitten ihre eigene »Übersetzung« anfügt. Die Tochter von Bischof Voigt hat dafür Drucke aus Luthers ersten Veröffentlichungen als Vorlagen verwendet und komplexe Zusammenhänge jeweils in einem einzigen Bild auf bemerkenswerte Weise eingefangen.
Doris Michel-Schmidt