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Rezension

Jahrbuch für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlands 70/2021

Die dem Rezensenten als eBook vorliegende Veröffentlichung ist eine überarbeitete, gekürzte sowie um Abbildungen ergänzte Fassung der Dissertationsschrift der Autorin, die 2017 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde (bei Prof. Dr. Christian Albrecht). Sie erscheint als Band 48 der Reihe »Kontexte. Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie«, begründet von Johannes Wirsching und herausgegeben von Bernd Oberdorfer, und umfasst in der eBook-Fassung 372 Textseiten, dazu ein Geleitwort des bekannten Journalisten und späteren Präsidenten des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags 2019 in Dortmund Hans Leyendecker, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Namen- und Sachregister.
Ziel der Autorin ist es, an diesem »Großereignis, das symptomatisch wahlweise als ›Kirchentag der Kommunikation‹ oder als ›Kirchentag der Konfrontation‹ bezeichnet wurde« (9, alle Seitenangaben nach eBook-Version) den Wendepunkt vom Massenereignis der protestantischen Laienbewegung zum Medienereignis herauszuarbeiten. Denn dort, in Stuttgart, seien erstmals die Auseinandersetzungen zwischen Reform und Reaktion live übertragen, kommentiert und bleibend dokumentiert worden. Als prominentes Beispiel soll Kirchentagspräsident Richard von Weizsäcker als ›Prototyp des protestantischen Laien‹ in seiner Wirkung analysiert werden; weitere protestantische Positionen zu Rundfunk und Rundfunkarbeit sowie bislang unveröffentlichtes Archivmaterial zu diesem Kirchentag mit dem Themenschwerpunkt Rundfunkmedien ergänzen die Arbeit.
Bereits im Geleitwort bringt Hans Leyendecker die Problematik auf den Punkt: Nach heutigen Maßstäben war die Teilnehmerzahl in Stuttgart schwach, mit nur 17.150 Dauerteilnehmern fast ein Minusrekord − welchen Düsseldorf 1973 hält. Nur 20 Jahre später, 1989 in Berlin, waren schon 151.000 Teilnehmer zu verzeichnen. Medial betrachtet bekam Stuttgart dagegen enorme Resonanz: Über 47 Stunden im Hörfunk und über sechseinhalb Stunden im Fernsehen wurden den Veranstaltungen in Stuttgart gewidmet − zu jener Zeit ein Rekord. Doch war dies kein Vergleich mit den heutigen Kirchentagen, die aktuell über 3.600 Hörfunk- und 1.000 Fernsehbeiträge zählen, ein Vielfaches von Stuttgart. Aber mit dieser medialen Öffnung kamen auch die Probleme, wie Leyendecker im Geleitwort konstatiert, denn es wurde weit mehr über die Auseinandersetzungen und Demonstrationen am Rande berichtet, vorrangig über ›Friedensthemen‹, statt über das gesamte Spektrum des Kirchentages, was schließlich sogar zu Rügen der EKD-Zentrale führte. Gleichwohl plädiert Hans Leyendecker − erwartungsgemäß − für die Beibehaltung der völligen Offenheit. Ähnlich: »Der Kirchentag sei ein Forum, auf dem alles sichtbar werden muss, was in den Kirchen lebendig ist«, so Erhard Eppler, zwei Male Kirchentagspräsident (11).
Teresa Klement geht in ihrer Untersuchung wie folgt vor: Einleitend grenzt sie Thema und Fragestellung ein, erläutert ihren methodischen Zugang und bespricht ihre Quellen: Kirchen- und Rundfunkarchive, Zeitzeugenbefragungen − hier besonders Jörg Zink, der aus eigenem Antrieb im Vorfeld seinen Film ›Lila Zeiten‹ publizierte, sowie die zahlreichen Film und Hörfunkdokumente. Dem folgen 65 Seiten einer umfassenden Untersuchung der Deutschen Evangelischen Kirchentage allgemein und des Stuttgarter Kirchentags 1969 im Einzelnen. Anschließend werden der ›Publizistische Ausschuss‹ und der ›Publizistenempfang‹ (früher ›Presseempfang‹) als verbindende Elemente zwischen Kirchentag und Rundfunk und als Kern einer neuen publizistischen Initiative vorgestellt.
Kapitel IV untersucht die Vorbereitung dieses Kirchentags im Schatten der Auseinandersetzungen mit der Bekenntnisbewegung ›Kein anderes Evangelium‹ und den württembergischen Pietisten. Letztere waren im andauernd schwelenden Streit um ein klares Bekenntnis dem Kirchentag in Hannover 1967 noch ferngeblieben, gegen die entschiedene Position Richard von Weizsäckers, welche sich schließlich durchsetzen sollte. Die inhaltlichen Vorbereitungen galten der Losung ›Hungern nach Gerechtigkeit‹ (Mt 5,11). Diesem Leitgedanken aus der Bergpredigt sollte auf verschiedene Arten nachgegangen werden: theologisch in Bibelarbeiten und sozialethisch im Hinblick auf die ›weltweite Gerechtigkeit‹. Dabei schildert Klement auch detailgetreu die vielen, später kaum noch beachteten Auseinandersetzungen wie jene mit Jörg Zink um dessen Angebot einer eigenen Dokumentation des Kirchentags. Auch neue ›Partizipationsmodelle( wie Resolutionen, Go-Ins oder freie Diskussionen sollten der gewünschten Medienpräsenz bewusst entgegenkommen, waren aber keineswegs unumstritten. Oft wird speziell auf die Person Richard von Weizsäckers rekurriert, der in mancherlei Hinsicht diesen Kirchentag dominierte, dies auch mit seiner stets wiederholten These, es sei dessen Ziel, »in dieser unruhigen und vielfach verwirrten Zeit zur Kommunikation unter den Gruppen und Menschen zu kommen«. Der Kirchentag vertrete den hohen Anspruch der Vermittlung, denn Kommunikation sei noch keineswegs überall gelungen, und »Sperren der Verständigung« gebe es nach wie vor (175).
In Kapitel V ›Verlauf des 14. DEKT 1969 und Präsenz im Rundfunk‹ beschreibt die Autorin den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse und kommt zu ihrem etwas verklausulierten Fazit: »Das performative Element des Protestantismus, das in den Sendungen zum Kirchentag evident wurde, wurde maßgeblich von der Eventisierung der Laienversammlung und der damit verbundenen Resonanz in den öffentlich-rechtlichen Medien begünstigt. Über die Sendungen und die Inszenierung hinaus lässt sich eine Selbstverständigungsdebatte des Protestantismus über sein Verhältnis zur Gesellschaft erkennen, von der wiederum − schon seit den frühen 1960er–Jahren − ein kirchenreformerischer Impuls ausging« (189).
Was auf den weiteren 180 Seiten folgt, ist zunächst eine Dokumentation der »Manöverkritik − Traditionell oder modern? Zur zukünftigen Ausrichtung des Kirchentags« (190ff) sowie ein weiteres, diesmal aussagekräftigeres Fazit:
»Hierbei trat die Konfrontation als neue Form der Kommunikation in Erscheinung. Zum anderen etablierten sich weitere neue Kommunikationsformen wie Podiumsdiskussionen und Hearings [...] Gleichzeitig wurden die tradierten Veranstaltungsformen wie beispielsweise der nachfolgend abgebildete Schlussgottesdienst beibehalten, gerade von studentischen Gruppierungen als Akteure durch Go–ins und spontanen Demonstrationen aber für die Kommunikation ihrer Botschaften usurpiert. [...] Der Fokus der Berichterstatter lag folglich auf dem Unerwarteten, den Skandalen und Pointen der Kirchentagsveranstaltungen, nicht zuletzt aufgrund des vorherrschenden Wettstreits um Hörer- und Zuschauerquoten unter den Sendern. Die Skandalisierung der Medien nahm in den 1960er-Jahren zu, da Konflikte und Tumulte eine höhere Aufmerksamkeit erhielten als die positive Berichterstattung. [...] Die Kommunikation als protestantische Handlungsdimension zeigte sich auf diesem Kirchentag in ihrem ganzen Umfang und in allen ihren Facetten«.
Die folgenden Kapitel VIII bis XII seien hier nur angeführt; sie beschreiben in großer Detailgenauigkeit den Umgang des Protestantismus mit den Massenmedien seit 1945 (und davor), erst mit dem Rundfunk, dann mit dem Fernsehen ab 1953, die Debatten um das Zweite Deutsche Fernsehen, den Kirchenfunk samt rechtlicher Grundlagen und seinen Sendern, die Christliche Presse-Akademie, die Evangelische Akademie für Rundfunk und Fernsehen und ähnliche Institutionen, die Kammer der EKD für publizistische Arbeit sowie die relevanten Auseinandersetzungen und mehr. Stichworte sind: ›Aufbruch der Laienkräfte‹ und ›Unruhe in der Kirche‹. Ihr letztes − ausführlich geratenes − Fazit beschließt Klement nachdenklich (369):
»Bei der Berichterstattung über den Stuttgarter Kirchentag ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Medienlandschaft in den 1960er-Jahren drastisch veränderte. Beispielsweise nahm die Skandalisierung der Medien zu, was nicht zuletzt aufgrund des Wettstreits um Hörer- und Zuschauerquoten unter den Sendern geschah. Auch beim Kirchentag 1969 verlegten die Berichterstatter ihren Fokus auf das Unerwartete, die Skandale und Pointen der Veranstaltungen. Daher schafften es ausschließlich nachrichtenwürdige, also unerwartete und aufsehenerregende Ereignisse in die Schlagzeilen und Berichte. Eine objektive und rein informative Berichterstattung, wie sie von großen Teilen des Kirchentagspräsidiums und auch aus Teilnehmerkreisen heraus gefordert wurde, sollte zwar der Anspruch der Reporter und Journalisten sein, widersprach jedoch schlicht den Eigenlogiken der Medien«.
Kann diese Feststellung nicht auch auf die heute gängige Berichterstattung vorausweisen, die Skandalen ausführlicheren Raum gibt als Caritas und Diakonie? Teresa Klement hat hier eine aktuelle, ebenso spannende wie gründliche, zuweilen auch sehr detaillierte Untersuchung des eigentlich uralten Themas ›Darstellung des kirchlichen Lebens in der Öffentlichkeit‹ vorgelegt. Denn bereits im sogenannten ›Jahrhundert der Kirchenpresse‹, als ab etwa 1848 eine Vielzahl hervorragender protestantischer Kirchenzeitungen aufblühte, war dies ein zentrales kirchliches Anliegen. Hier untersucht die Autorin dies Thema mit Blick auf eine neue Epoche an der offenen medialen Positionierung des 14. Deutschen Evangelischen Kirchentags 1969 in Stuttgart. Das Thema ›Kirche und Presse‹ war ja, mit Ausnahme des 19. Jahrhunderts, auch allzu oft ein Stiefkind der diversen Kirchenleitungen. Das sollte sich nicht zuletzt im Kirchenkampf des Dritten Reiches rächen, als ›kirchliche Presse‹ zunächst nahezu widerstandslos den Deutschen Christen in die Hände und damit ins Bodenlose fiel. Klement hat hier die Chance genutzt, sowohl die Hintergründe wie die Mechanismen kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit präzise und schlüssig für alle aufzuzeigen, die sich für das moderne Bild der Kirche in der Gesellschaft interessieren und die Zusammenhänge begreifen wollen. Die Kirchentage mit ihrer ebenso faszinierenden wie meist sehr kurzlebigen Wirkung in die breite Öffentlichkeit hinein, besonders via Fernsehen und − noch immer − Rundfunk, sind dazu ein ideales Beobachtungsfeld. Dies bietet heute ein vortreffliches Studienfeld auch für die gesellschaftliche Arbeit von Gemeinden und Kirchenkreisen, sofern diese über Gemeindebriefe und Homepages hinausgehen soll.
Holger Weitenhagen

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Der 14. Deutsche Evangelische Kirchentag 1969 und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkmedien

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Der 14. Deutsche Evangelische Kirchentag 1969 und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkmedien

Eine exemplarische Studie zur medialen Positionierung des Protestantismus nach 1949
Klement, Teresa/Leyendecker, Hans

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