Rezension
Jahrbuch Mission 2018
Mit ihrem neuesten Buch ist die Theologin, Publizistin und ehemaligen Leiterin des Referates für Sozial- und Gesellschaftspolitik in der EKD, Cornelia Coenen-Marx, ein großer Wurf gelungen. Politisch und fromm, persönlich und kirchenstrategisch, ein ungewöhnliches Format, nicht nur wegen des quadratischen Designs. Ihre Analyse ist eindeutig: Kirche, Gesellschaft und Welt – wir leben in Zeiten umfassender Transformationen. Die Gemeinschaft ist davon ebenso erschüttert wie das Individuum irritiert. Dazu ist schon andernorts Kluges zu lesen. Erhellend finden sich in den Analysen von Coenen-Marx aber Umbrüche und Aufbrüche aus der Geschichte der Diakonie, deren Stern aufging, als die bedrückenden gesellschaftlichen Umbrüche im 19. Jahrhundert neue Antworten der Christen einforderten.
Eine aus einer Transformationsdynamik geborene Gestalt wie die Diakonie mag sich den Herausforderungen einer neuen Transformation stellen können. Was sich diakoniegeschichtlich darstellt, untermauert die Autorin, ehemals Vorstand eines großen Diakoniewerks, in zahlreichen persönlichen Facetten, ohne jedoch der Versuchung autobiographischer Verspieltheit zu verfallen. Sie reflektiert die Umbrüche in Diakonie und verfasster Kirche vor dem Hintergrund eines reifen Arbeitslebens, ob in Kaiserswerth oder im EKD-Hauptquartier in Hannover: »Es sind auch meine eigenen Erfahrungen im Umgang mit Veränderungsprozessen, die in diesem Buch Thema sind: Was hilft mir in meinem persönlichen Leben, was gehört sozialpolitisch auf die Tagesordnung und wo liegen die Herausforderungen für die Kirche?«, schreibt sie.
So spielen selbstverständlich in der Beschreibung soziologischer Phänomene wie etwa »Pendelbeziehungen – Das Unterwegssein und die Liebe« auch die eigenen Erfahrungen mit einer jahrelangen Wochenendbeziehung eine Rolle. Und Reflektionen zum Gehalt von Umbrüchen durch Krankheit und Tod sind mit zarter Feder als persönliches Credo gezeichnet: »So betrachtet ist das Sterben die letzte transitorische Betrachtung, die wir machen – auf dem Weg in ein neues, befreites Leben. Und all die Übergänge, die wir beruflich, familiär oder gesundheitlich erleben, sind eine Einübung auf diesem Weg des Loslassens, auf dem wir uns vorbereiten auf den letzten großen Neuanfang.«
Fromm liest Cornelia Coenen-Marx ihr Leben und die Läufe der Zeit mit Hilfe der Bibel, der Schatz jüdisch-christlicher Lebens- und Glaubensweisheit durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Politisch schreibt sie, weil die Kirche sich streitbar zeigen muss in den Umbrüchen der Gesellschaft, den Schwachen nicht von der Seite gehend. Wohltuend, dass sie immerzu verfasste Kirche und Diakonie zusammen denkt, nur so kann es gelingen.
»Aufbrüche in Umbrüchen« ist keine klassische Zeitansage. Die Autorin zeigt nicht, wohin es gehen wird. Aber ihr gelingt eine Art Zeitdeutung, die beschreibt, wie es gelingen kann, in Zeiten der Transformation zu bestehen. Achtsam und im Kontakt mit den eigenen Gefühlen, Grenzen und Träumen. Neugierig auf das Neue. Und: »Nur mit Mut und Vertrauen werden wir die aktuellen Umbrüche für lebendige Gestaltung nutzen«, schreibt die überzeugte Mutmacherin Cornelia Coenen-Marx.
Friedemann Magaard