Rezension
KNA – Ökumenischer Informationsdienst 33–34 (22.08.2017)
Die 53 Lehrpredigten, die John Wesley zwischen 1746 und 1771 zusammengestellt und veröffentlicht hat, gehören bis heute zu den Lehrgrundlagen der Evangelisch-methodistischen Kirche. Da die Ende der 1980er Jahre erschienene Übersetzung dieser Predigten seit langem nicht mehr erhältlich war, hat nun Manfred Marquardt, bis 2005 Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie am Theologischen Seminar Reutlingen, diesen Grundtext methodistischer Lehre neu übersetzt und so dankenswerterweise allen Interessierten wieder zugänglich gemacht. Zu den einzelnen Predigten finden sich jeweils Einleitungen, die sie in den historischen Kontext einordnen bzw. den Zusammenhang mit anderen Aussagen Wesleys deutlich machen. Neben einem Literatur- und Abkürzungsverzeichnis enthält der umfangreiche Band auch ein Personenregister, ein ausführliches Begriffsregister, das dazu einlädt, anhand einzelner Stichworte der Entwicklung mancher Gedanken Wesleys nachzugehen, sowie ein Register der Bibelstellen und ein genaues Verzeichnis der Predigten.
Dass diese ausgewählten Predigten als Lehrpredigten bezeichnet werden, könnte zunächst falsche Erwartungen wecken. Denn es handelt sich bei ihnen nicht um eine Art »methodistischer Dogmatik«. Dogmatischen Auseinandersetzungen stand Wesley wohl eher kritisch gegenüber, wie beispielsweise die entsprechenden Aussagen in der Predigt Nr. 39 über die »ökumenische Gesinnung« (die im Original den schönen Titel »Catholic Spirit« trägt) zeigen. Dementsprechend sucht man etwa Begriffe wie »Trinität« oder »Christologie« im Stichwortregister vergeblich. Aber die entsprechenden Aussagen der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse werden von dem anglikanischen Geistlichen John Wesley selbstverständlich vorausgesetzt, weil sie den Hintergrund eben jener soteriologischen Aussagen bilden, auf die es ihm eigentlich ankommt.
Denn es geht ihm darum, die Menschen zu einem lebendigen Glauben aus der Kraft der Gnade Gottes zu führen oder, wie es die eindrückliche Predigt Nr. 2 deutlich macht, sie von »Beinahe-Christen« zu »ganzen Christen« zu machen. Wie Wesley selbst in seiner Einleitung sagt, will er jedem Menschen den in der Bibel bezeugten Weg zum Himmel zeigen. Dies tut er, wie gerade die ersten Predigten deutlich machen, auf der Basis der reformatorischen Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben, deren gewissmachende Kraft Wesley bekanntlich 1738 in London erfahren hatte. Durch diesen Glauben wird der Mensch erneuert und befähigt, aus dem Glauben heraus Gott und den Nächsten zu lieben, was Wesley immer wieder unter dem Begriff der »Heiligung« zusammenfasst. Angesichts mancher Stimmen, die die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« der katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbunds, der sich 2006 der Weltrat Methodistischer Kirchen sowie in diesem Jahr die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen angeschlossen haben, immer noch anfragen, machen Wesleys Predigten an vielen Stellen deutlich, was ein solcher Konsens auch und gerade für die Anerkennung des gegenseitigen Christseins als grundlegende Voraussetzung des ökumenischen Miteinanders bedeutet.
Zugleich kann mit dieser Sammlung Wesley auch als geistlicher Schriftsteller und Wegbegleiter wahrgenommen werden, gerade weil er oft genug zwischen (scheinbaren oder wirklichen) Extremen vermittelt. Unbeschadet des geschichtlichen Abstands, der natürlich an vielen Stellen deutlich wird, oder der Grenzen mancher theologischer Aussagen (so etwa in Predigt Nr. 5 zur Exklusivität der Rechtfertigung durch den Glauben), auf die auch in den Einleitungen hingewiesen wird, kann seine Konzentration auf den Kern der biblischen Botschaft, verbunden mit seiner Betonung der Vernunft und seinem immer wieder durchscheinenden Pragmatismus, auch heute Christen aller Konfessionen Anregungen geben, den Weg eines ernsthaften Glaubens zu gehen.
Somit liegt hier ein Grundlagenwerk methodistischer Lehre vor, das all denen, die um die Vielfalt der Ökumene wissen, nur empfohlen werden kann, weil es zeigt, wie diese Vielfalt nicht nur theologisch, sondern auch und gerade geistlich bereichernd ist. Man kann dem Übersetzer, den Mitarbeiter/inne/n und dem Verlag nur dankbar dafür sein, dass hier ein grundlegendes Werk methodistischer Lehre und Frömmigkeit neu zugänglich gemacht wird, das über die methodistische Kirche hinaus allen Christinnen und Christen Anregungen für den eigenen Glaubensweg geben kann. Der einzige Wermutstropfen aus katholischer Sicht ist, dass in der Predigt Nr. 16 über die Gnadenmittel wie in der ersten Ausgabe in einer Fußnote immer noch fälschlicherweise behauptet wird, die römisch-katholische Kirche lehre eine Wiederholung des Opfers Christi in der Eucharistie.
Im Jahr des Reformationsgedenkens 2017, das ja ausdrücklich mehr sein will als ein »Lutherjahr«, lädt dieser empfehlenswerte Band darum ein, in dem breiten Konzert der Reformatoren auch John Wesley im besten Sinne als »Zeugen Jesu Christi« wahrzunehmen und sich von ihm in die Mitte des christlichen Glaubens führen zu lassen.
Burkhard Neumann