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Rezension

Theologisches Gespräch 01/2015

Die vorliegende Aufsatzsammlung dokumentiert die sechste Tagung römisch-katholischer und freikirchlicher Theologen, die vom Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Paderborn veranstaltet wurde und sich als feste Größe des theologischen Dialogs zwischen den beteiligten Kirchen etabliert hat. Der baptistische Verfasser nähert sich den Texten mit der in der Gemeindepraxis gewonnenen Erfahrung, dass Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden im gelebten Glauben mitunter eine größere Nähe zu katholischen Gemeinden erleben als zu evangelisch-lutherischen und dass das ökumenische Miteinander gelingt, wenn man einander die Unterschiedlichkeit der jeweiligen konfessionellen Tradition zu erleben gibt. Ähnliches entfaltet Wolfgang Thönissen in seinen Thesen. Ökumenische Spiritualität, die die eigene konfessionelle Verwurzelung ausblendet, sei ein Kunstprodukt. Andererseits müsse die Umkehr zur Einheit als wesentlicher Ausgangsimpuls einer ökumenischen Spiritualität verstanden werden, weil es zu ihren Merkmalen gehöre, dass sie bleibend auf die Überwindung jeder Form »konfessioneller kirchlicher Selbstbehauptung« (238) zielt. Wie stellt sich also den Texten dieses Sammelbandes zufolge das Leben aus dem Glauben in den jeweiligen Traditionen dar und welches transkonfessionelle Potential birgt eine »geistliche Ökumene« (236)?
Der Band bietet fünf Beiträge aus freikirchlicher und vier Beiträge aus katholischer Feder. Die ersten beiden Vorträge fragen historisch und systematisch nach den prägenden Traditionen geistlichen Lebens in der katholischen Kirche seit der Reformation bzw. nach den Wurzeln und dem Wesen freikirchlicher Frömmigkeit. Johannes Oeldemann entfaltet einen Begriff geistlichen Lebens, der »alle individuellen sowie ekklesial-gemeinschaftlichen Ausdrucksformen des Glaubens« (11) umfasst. Dementsprechend skizziert er zunächst die für die katholische Tradition prägenden gemeinschaftlichen Formen (Pfarrgemeinde, Pfarrklerus als Vorbild, Orden und Kongregationen, Laiengemeinschaften und neue geistliche Gemeinschaften) und daran anschließend die persönlichen Formen geistlichen Lebens (Familie, Eucharistische Frömmigkeit, neuzeitliche Mystik, Marienverehrung, Heilige, Reliquien, Wallfahrten, Geistliches Liedgut). Angesichts einiger für den freikirchlichen Leser sperriger Stichworte ist es bemerkenswert, dass er den »entscheidenden Wandel« der nachreformatorischen katholischen Frömmigkeit in einer »Verinnerlichung des geistlichen Lebens« (44) erblickt. Ein Grundzug, der viele Anknüpfungspunkte für die freikirchliche Frömmigkeit bietet.
Markus Iff bestimmt Evangelikalismus, Pietismus und evangelischen Mystizismus als Quellen freikirchlicher Frömmigkeit und benennt maßgebliche historische Eckpunkte. Die Begriffe verweisen auf verschiedene, nicht scharf voneinander abgrenzbare Frömmigkeitstradition, die einen Boden bereite, auf dem Bibelorientierung, persönliche Frömmigkeit durch Wiedergeburt und Bekehrung und Jesusfrömmigkeit als typische Merkmale eines geistlichen Lebens freikirchlicher Provenienz gedeihen. Diese bringe in unterschiedlicher Ausprägung mit sich die Abspaltung des wahren Frommen von den übrigen Namenschristen, eine Lösung von der sozialen Umwelt, eine Konzentration auf das Individiuum mit seiner Gebetspraxis und Heiligung des Lebenswandels (vgl. 65ff; 79 ff).
Bernhard Olpen entfaltet die These, dass pfingstkirchliche Frömmigkeit sowohl der Sache nach als auch zahlenmäßig keine Randerscheinung christlicher Spiritualität darstellt, sondern in das »gesamtkirchliche historische Spektrum« (83) eingebettet ist. Lässt sich die Quantität pfingstlicher Frömmigkeit gegenwärtig nicht von der Hand weisen, so wird die von Pfingstlern stark betonte Geistunmittelbarkeit von den Herausgebern in der Zusammenfassung dahingehend hinterfragt, »ob es christlich eine Unmittelbarkeit geben kann, die sozusagen jenseits dieser [kirchlichen; OP] Tradition steht, oder ob es sich nicht immer um eine vermittelte Unmittelbarkeit handelt, vermittelt einerseits durch den in der Schrift bezeugten Glauben der Kirche wie auch durch die subjektiven Glaubens- und Verstehensvoraussetzungen des einzelnen«. (243 f)
Weitere Beiträge thematisieren Teilaspekte christlicher Frömmigkeit aus einer jeweils ungewohnten konfessionellen Perspektive: die Freiheit des katholischen Christen zwischen Beliebigkeit und kirchlichem Gehorsam, Gottesdienst und Liturgie in freikirchlicher Sicht, das Leben im Kirchenjahr in der Herrnhuter Brüdergemeinde. So werden klassische Themen christlicher Spiritualität durch eine nicht typische Betrachtung bereichert.
Zwei Beiträge widmen sich aus religionssoziologischer Perspektive den Herausforderungen für Katholizismus und Freikirchentum in der gegenwärtigen Gesellschaft. Judith Könemann beschreibt die Herausforderungen für den Katholizismus auf dem Hintergrund gängiger Theorien der Moderne (Modernisierungstheorie, Individualisierung/Spiritualisierung der Religion, Marktprinzip) und stellt dabei drei Gesichtspunkte in den Vordergrund: der Wandel von »religiösen Zwangs- zu Wahlmilieus, die wachsende Anzahl »säkularer Handlungsoptionen« und die »Konkurrenz zwischen religiösen und säkularen Sozialisationsprozessen« (174 f). Ihrer Auffassung nach »erlebt die katholische Kirche den größten Veränderungsprozess in ihrer pastoralen Praxis seit Durchsetzung des volkskirchlichen Prinzips« (185) und hat sich darum zu bemühen, »dass modernes Lebensgefühl und moderne Lebensweise und die damit einhergehenden Implikationen wie verwirklichte Freiheit, Subjektivität und Autonomie« (186) nicht im Widerspruch zu einem kirchlich gebundenen christlichen Glauben stehen.
Ralf Dziewas beschreibt gesellschaftliche Wandlungsprozesse und ihre Konsequenzen für Freikirchen, die in hohem Maße Beteiligungskirchen sind, von den Ressourcen ihrer Ehrenamtlichen leben und auf eine hohe Verbindlichkeit ihrer Mitglieder setzen. Dabei zeigt er u. a. auf sich wie der Verlust des Wochenendes und des Feierabends durch veränderte Geschäftszeiten, aber auch die sich ändernde schulische Landschaft (Ganztagsschule) auf Gemeinden auswirken. In einem weiteren Schritt stellt er dar, wie sich die Kennzeichen der Leistungs- und Multioptionsgesellschaft auf das Ehrenamt auswirken und das gewohnte freikirchliche Gemeindeleben zunehmend erschweren. Ferner wird herausgearbeitet wie Ökumene und Internet freikirchliche Spiritualität herausfordern, aber auch bereichern können.
Die Beiträge des Sammelbandes enthalten eine Fülle erhellender Beobachtungen. Insbesondere der zuletzt erwähnte bietet sich als Anknüpfungspunkt für den Gemeindediskurs an, weil er soziologisch reflektiert, was an der Basis zunehmend erlebt wird. Wer sich über christliche Spiritualität freikirchlicher und katholischer Spielart informieren möchte und über die Entwicklung geistlichen Lebens in der Ortsgemeinde nachdenken will, erhält im vorliegenden Buch viele hilfreiche Anregungen.
Oliver Pilnei

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Aus dem Glauben leben

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Aus dem Glauben leben

Freikirchliche und römisch-katholische Perspektiven
Neumann, Burkhard/Stolze, Jürgen/Bräker, Jürg/Dziewas, Ralf/Eschmann, Holger/Hardt, Michael/Iff, Markus/Könemann, Judith/Olpen, Bernhard/Richter, Stefan/Thönissen, Wolfgang

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