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Rezension

Lutherische Beiträge, 20. Jahrgang (2015) Heft 1

Diese Buch hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte. Ursprünglich wurde diese Heidelberger Dissertation unter Peter Brunner 1972 als Manuskript veröffentlicht. Fast 40 Jahre später kommt es nun in zweiter Auflage erneut auf den Markt, herausgegeben von der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel anlässlich des 80. Geburtstages des Verfassers, der 25 Jahre in Oberursel lehrte.
Das Datum der ursprünglichen Veröffentlichung ist insofern bedeutsam, als ja im Folgejahr die »Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa,« kurz »Leuenberger Konkordie« veröffentlicht wurde, die die wesentlichen Lehrunterschiede zwischen reformierten, unierten und lutherischen Kirchen in Europa ausräumen sollte, um sie als nun »reformatorische« Kirchen zur Kirchengemeinschaft zu befähigen. Zentral ging es in »Leuenberg« also auch um die Lehre vorn Abendmahl und die über 400 Jahre währenden »innerreformatorischen« Trennungen in diesem Lehrpunkt. Hoffmanns Dissertation, in der es um die Aufarbeitung eines oft übersehenen Aspektes der Anfänge dieser Kontroverse geht, fällt also in die Jahre, die zu »Leuenberg« hinführten.
Interessant ist freilich ebenfalls, dass Hoffmanns Doktorvater als Kommissionsmitglied an der Ausarbeitung der »Arnoldshainer Abendmahlsthesen« von 1957 maßgeblich beteiligt war, die nicht nur die Abendmahlsgemeinschaft zwischen den lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen der EKD theologisch ermöglichen sollte, sondern die auch zur Grundlage der »Leuenberger Konkordie« von 1973 wurde. Brunner nahm jedoch an den zu letzterer führenden Gesprächen und Arbeiten nicht mehr teil, obwohl er dazu eingeladen worden war.
In Hoffmanns Arbeit geht es konkret darum, wie vier Hauptvertreter der ersten Reformatorengeneration – Oekolampad (1482–1531), der Reformator Basels; Zwingli (1484-1531), der Reformator Zürichs; Luther (1483–1546); und Melanchthon (1497-1560) – einschlägige Kirchenväterzitate einsetzten, um ihre jeweilige Position in der Abendmahlsfrage zu untermauern.
Hoffmann geht es hierbei zunächst ums historische Sichten, noch nicht ums dogmatische Werten. Er untersucht also nicht systematisch, welcher Reformator nun die Väter zu Recht auf seiner Seite hatte. Er deutet jedoch immerhin an, wie eine solche Beurteilung ausfallen musste. Folgt man nämlich David Friedrich Strauß, dem wirkmächtigen Tübinger Theologen aus dem-19. Jahrhundert, in seiner Einschätzung, dass die westlich-abstrakten protestantischen Lehrer des 16. Jahrhunderts auseinanderrissen, was die orientalische Denkungsart der Kirchenväter noch zusammen denken konnte — nämlich die »Symbolik« und die »Realistik« des Sakraments —, dann, so argumentiert Hoffmann, müssten doch diejenigen in Kontinuität zur Alten Kirche stehen, die die »Realistik« im Altarsakrament bewahren und sie nicht einer bloßen »Symbolik« aufopfern.
Rein statistisch gesehen zeigt sich Hoffmann zufolge, dass Oekolampad und Melanchthon am häufigsten auf die Kirchenväter zurückgreifen, während dies bei Zwingli und Luther zurückhaltender erfolgt.
Theologisch fanden sich jedenfalls die Schweizer Reformatoren unter Begründungszwang. Denn sie müssten ja zeigen, dass ihr symbolisches Abendmahlsverständnis keine neue Idee war – »neu« hieß ja damals auch immer »falsch« in der Kirche. So ging es ihnen also darum darzulegen, dass der mittelalterliche »Realismus« in der Abendmahlsfrage (man denke nur an den Realismus eines Paschasius Radbertus, der in Berengars Bekenntnis von 1059/1079 widerhallte und den Luther aufnahm (s. WA 26, 442–443); – interessanterweise griff Radbertus im 9. Jhdt. ja auch auf einen Kirchenvater zurück: Ambrosius) seinerseits eine Innovation gegenüber dem symbolischen Konsensus der Alten Kirche (und damit der wahren Bedeutung des NT) darstellte. Augustinus diente ihnen als Hauptzeuge für ihre symbolisch-psychologisierende Deutung des Abendmahls.
Hoffmann führt aus, wie bestimmte hermeneutische Weichenstellungen dafür sorgen, dass der Konsensus der Väter mit dem übereinstimmen, was Oekolampad und Zwingli bereits als wahre Bedeutung des Abendmahls festgestellt hatten: Die Abendmahlselemente sind Zeichen für etwas Abwesendes – Christi menschlicher Leib, der in der Vergangenheit am Kreuz geopfert worden war, der sich jedoch gegenwärtig in räumlich begrenzter Weise im Himmel zur Rechten des Vaters befindet. Dieser Leib ist den Gläubigen aber bereits von innen her bekannt, nämlich durch eine unvermittelte Wirkung der göttlichen Natur Christi oder des Geistes. Entsprechend haben die Einsetzungsworte also eine bildlich-übertragene Bedeutung, die nur grober Materialismus übersehen kann.
So geschieht also das Abendmahlswunder eigentlich nicht an Brot und Wein, sondern in den Herzen der Gläubigen. Sie erkennen, dass die irdischen Elemente sie vom Sichtbar-Leiblichen zum Geistlich-Unsichtbaren führen sollen.
Die ältere Forschung war bisweilen versucht, Oekolampad und Luther als einig in der Frage der Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl zu sehen (z.B. W. Köhlers Buch Zwingli und Luther von 1924). Man mag dem Basler Reformator die Schuld dafür in die Schuhe schieben wollen, denn in seinen Diskussionen mit Melanchthon behauptete der erstere ja: Der Streit geht nicht um die Gegenwart Christi im Abendmahl als solche, sondern nur um die Art dieser Gegenwart.
Man sieht hier gleich, wie »Leuenberg« ein paar Jahrhunderte später auf dieser Behauptung aufbauen kann: »Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser Handlung [des Essens und Trinkens] absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln.« Hoffmann zeigt jedoch, dass Oekolampad nie über eine »geistliche« Gegenwart Christi im Glauben hinausging, welches eine relationale, nicht jedoch substantielle Gegenwart außerhalb des Glaubenden in den irdischen Elementen des Sakraments darstellt.
Obwohl Luther statistisch im Gebrauch von Väterzitaten hinter Oekolampad zurücksteht, haben diese doch auch hier eine wichtige ekklesiologische Bedeutung: Die Kirche – als Artikel des Glaubensbekenntnisses und aufgrund göttlicher Verheißung – ist ohne Ende. Die rechte Abendmahlslehre ist eine notwendige Bedingung für das Bestehen der Kirche. Es ist daher unmöglich zu behaupten, wie Oekolampad und Zwingli es taten, dass die rechte Lehre in diesem Artikel über Jahrhunderte hin völlig von der Kirche abwesend war.
Hoffmann merkt für Luther an, dass für ihn »der Consensus ecclesiae zu einem theologischen Argument von Rang« wurde (155), ohne dass damit jedoch der Primat der Schrift bestritten würde. Die Väter erscheinen also nicht als Richter über die Schrift, sondern als Zeugen für ihre katholische Wahrheit über Zeit und Raum, obwohl Luther zugibt, dass diese Wahrheit oft unter viel Irrtum verborgen war.
Dieses Verständnis der Väter als Zeugen für die Wahrheit der rechtverstandenen Schrift begegnet auch in dem »Verzeichnis der Zeugnisse«, das der Konkordienformel seit 1580 als patristische Untermauerung der Artikel vom Abendmahl und von der Person Christi beigegeben wurde. Auch die von M. Chemnitz, T. Kirchner und N. Selneccer 1583 verfasste Apologie des Konkordienbuchs ist streckenweise eine intensive Auseinandersetzung mit den Reformierten über die richtige Auslegung der einschlägigen Texte der Kirchenväter. Hoffmanns Studie ist also auch eine Erinnerung daran, dass diese beiden späteren lutherischen Lehrdokumente die Diskussion fortführen, die in den 1520ern von den Reformatoren der ersten Generation zu einer Zeit begonnen wurde, als Texte der patristischen Zeit auf Griechisch nun in gedruckter Form im Westen eine weitere Verbreitung fanden als jemals zuvor.
Melanchthon ist schließlich die, historisch gesehen, vielleicht interessanteste Persönlichkeit in Hoffmanns Studie. Denn von den hier präsentierten vier Theologen war nur er es, der seine Position im Verlauf der ersten Abendmahlskontroverse während der 1520er und 1530er Jahre änderte – sowohl im Hinblick auf die Bedeutung des Abendmahls als auch in Bezug auf den Sinn des Väterkonsenses.
Hoffmann fragt also: Warum und wann veränderte Melanchthon seine Position? Während einige behaupten, dass Melanchthon seine Position bald nach Kenntnisnahme von Oekolampads Dialog Quid de Eucharistia veteres tum Graeci, tum Latini senserint (»Was die griechischen und lateinischen Väter von der Eucharistie hielten") aus dem Jahr 1530 änderte, teilt Hoffmann diese Meinung nicht. Vielmehr sieht er einen Brief Melanchthons vom 16.9.1534 als den terminus ante quo an. Dort vertrat Melanchthon zwar noch die vera et substantialis praesentia (»die wahre und wesentliche Gegenwart«), meinte jedoch, die »Veränderung des Brots« und die »Zertrennung von Leib und Blut« (Luthers sakramentale Einheit!) aufgrund seiner neuen patristischen Erkenntnisse nicht mehr vertreten zu können. Damit wurden auch der griechische Messkanon und Vulgarius, von Melanchthon noch 1531 in der Apologie zitiert (vgl. BSLK 248, 13–21), als Zeugnisse für den patristischen Konsensus hinfällig.
Eine rein symbolische Deutung des Abendmahls fand Melanchthon jedoch ebenfalls unbefriedigend, da sie der 1535 festgestellten »verwunderlichen Vielfalt« in der von den führenden Theologen der Alten Kirche vertretenen Sichtweisen zum Abendmahl nicht entsprach. Hoffmann sieht daher die 1535er Ausgabe seiner Loci theologici als Melanchthons Versuch an, die Summe seiner patristischen Studien zu formulieren: »Die alte Kirche wird ... zum Zeugen einer durch den Gebrauch gewirkten leiblichen Verbindung des Kommunikanten mit seinem Herrn, die durch das Essen und Trinken des Brots und Weins vermittelt wird, ohne dass eine Verbindung des Brots mit dem Leibe Christi selbst stattfindet« (238).
Man wird Melanchthon in der Abendmahlsfrage also leider unter die auf dem »weiten Meer" der Schriften der »alten Kirchenlehrer« (BSLK 1135, 10–11) Verschollenen zählen müssen. Denn, anders als Luther, wollte er eine Synthese der empirischen Vielfalt erstellen, anstatt die Klarheit der Schrift auch zum methodischen Ausgangspunkt der Patristik zu machen. Denn schon auf dem Marburger Kolloquium im Jahre 1529 formulierte Luther in Anlehnung an Augustinus die folgende hermeneutische Regel hinsichtlich der diversen Schriften und Meinungen der Kirchenväter (vgl. WA 30/111, 141–142, 148–149): »Wenn die Väter sprechen, lasst sie uns nach dem Kanon der Schrift annehmen. Wenn sie ihm zu widersprechen scheinen, dann soll man ihnen mit einer interpretierenden Glosse helfen oder sie verwerfen.«
Zusammenfassend kann man sagen, dass an der lutherischen Abendmahlslehre Interessierte in Hoffmanns Buch wertvolle Hintergrundinformationen zum ersten Abendmahlsstreit finden werden, die ein Schlaglicht auf die Bedeutung der neu zugänglich gewordenen Väterschriften – gerade auch in ihrer offensichtlich verwirrenden Vielfalt – für die sich ausformende Reformation werfen. Diese Studie ist damit auch hilfreich für das Verstehen der kirchenväterlichen Bezüge der lutherischen Bekenntnisschriften von der Apologie bis hin zur Konkordienformel.
Des weiteren lädt Hoffmanns Dissertation nicht nur zu vertiefter kirchengeschichtlicher Detailarbeit ein, sondern wirft auch die wichtige theologische Frage der Kontinuität zwischen der lutherischen Abendmahlslehre und der des Mittelalters und der Alten Kirche auf, die zuletzt ja im Hinblick auf die Bedeutung der Einsetzungsworte für die Konsekrationshandlung kontrovers diskutiert wurde (vgl. nur D. Wendebourg, »Noch einmal ›Den falschen Weg Roms zu Ende gegangen?‹«, ZThK 99 (2002), 400–440).
Damit steht natürlich eine (noch) weitere Frage im Raum: Wie steht es überhaupt mit der Kontinuität der lutherischen Kirche zur Alten Kirche? Gerade im Hinblick auf die Einheit in der Lehre vom Sakrament des Altars behauptete Luther ja 1541 gegen Hans Wurst (WA 51, 480): »Denn wir sind mit der alten Kirchen einerley Kirchen, ynn einerley Sacrament.« Anders gefragt, dienen patristische Studien heute noch dem Aufweis dieser Kontinuität mittels der bereits erwähnten hermeneutischen Regel Luthers, oder hat man sich längst mit Melanchthon auf eine abenteuerliche Seereise begeben, die kurzfristige ökumenische Gewinne in Genf, Rom oder Konstantinopel verspricht, aber nicht im himmlischen Heimathafen der Christen endet?
Holger Sonntag

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Umschlagbild: Kirchenväterzitate in der Abendmahlskontroverse zwischen Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon

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