Rezension
Ethica 21 (2013) Heft 4
Das aus einer Dissertation des Autors hervorgegangene Buch gliedert sich in vier große Abschnitte und kurze »abschließende Bemerkungen«. Zunächst untersucht Kliesch in den beiden ersten Abschnitten Voraussetzungen institutioneller ärztlicher Medizinethik sowie Geschichte und Strukturen der Bundesärztekammer. Schon dies gibt mit den Strukturen dieser Institution weniger vertrauten LeserInnen bemerkenswerte Einblicke. Insbesondere gelingt es dem Autor sehr gut, die historische Bedingtheit bestimmter Organe und auch vertretener Positionen darzustellen. Dazu setzt er sich mit Begriffen wie »ärztliches Ethos«, »Medizinethik« etc. auseinander und widmet sich der Problematik, wer hier eigentlich jeweils die Definitionsmacht besitzt bzw. wie mit Dissensen zu bestimmten Fragen umgegangen wurde und wird. Folgerichtig wird in dem am Schluss des Buches befindlichen Vergleich zwischen Verlautbarungen der BÄK und der EKD darauf verwiesen, dass Erstere ihre Dissense in ihren jeweiligen Dokumenten nicht ausweist, Letztere dagegen sehr deutlich; die BÄK könne hier von der EKD lernen. Deshalb, so der Autor, gilt es sich stets zu vergegenwärtigen, wen eigentlich die BÄK mit ihren Verlautbarungen vertritt. Es sind nie »alle ÄrztInnen«; auch habe die BÄK keine Weisungsbefugnis gegenüber ihren Mitgliedern. Hierin unterscheiden sich BÄK und Landesärztekammern.
Weiterhin schätzt der Autor ein, dass in den Verlautbarungen der BÄK »je nach Themenfeld und Gremium ... andere ethische Konzepte vorherrschen«. Dies belegt er detailliert in seinen Analysen der Verlautbarungen zu Lebensanfang und Lebensende. Hier zeichnet er sowohl den Verlauf der Debatten nach, hebt die jeweiligen politischen Streitpunkte dazu hervor und – besonders wertvoll: er erstellt dazu Synopsen der einzelnen Dokumente. Diese Teile dürften für all jene LeserInnen besonders interessant sein, die auf Grund ihres Alters die damaligen Debatten nicht mehr miterlebt haben.
Bereits auf Grund des umfangreichen Literaturverzeichnisses bzw. Anhangs mit vollständigen Dokumenten ist das Buch ein wertvolles Arbeitsmaterial. Hinzu kommen noch ausführliche Verweise auf die teilweise weniger bekannten Texte und Materialien der beiden großen Kirchen Deutschlands. Die generelle Vergleichbarkeit der Verlautbarungen beider Gremien (BÄK und EKD) ergäbe sich aus vier Merkmalen: erstens seien beide Einrichtungen repräsentativ für die Personengruppen, die sie vertreten; zweitens arbeiten beide professionell bzw. sind interdisziplinär zusammengesetzt; drittens haben beide keine direkte Autorität (Weisungsbefugnis) und viertens weisen Positionen und Konzepte eine inhaltliche Kontinuität auf. Dem Autor bzw. den vorgelegten Überlegungen ist zu wünschen, dass die von ihm ausgemachten Forschungsdesiderate (internationaler Vergleich des Verständnisses von ärztlicher Standesethik und Verhältnis von Ethik und Empirie) bald behoben werden.
Viola Schubert-Lehnhardt