Rezension
Lutherisch-in-Heidelberg.de vom 12.11.2013
»Dieses Buch schreibt Kirchengeschichte«, so Bischof Hans-Jörg Voigt (Hannover) von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) beim Auspacken eines der ersten Exemplare der Neuerscheinung »Preußische Union, lutherisches Bekenntnis und kirchliche Prägungen«, herausgegeben von den Professoren Dr. Jürgen Kampmann und Dr. Werner Klän als Band 14 in der Reihe der Ergänzungsbänden zu den Oberurseler Heften, einer Schriftenreihe der Lutherischen Theologischen Hochschule der SELK in Oberursel.
Das eben erschienene Buch dient, so die Herausgeber im Vorwort, dem »Erforschen der komplexen Wechselbeziehungen zwischen den so unterschiedlichen Kirchentypen, die ihre Entstehung gleichwohl – so oder so – mit dem Datum des Unionsaufrufes des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. aus dem Jahr 1817 verbinden: den Landeskirchen, die aus dieser Kirchenunion hervorgegangen sind, ebenso wie den selbstständigen lutherischen Kirchen.«
Entstanden ist der interdisziplinäre Band aus einem wissenschaftlichen Kolloquium in Wittenberg im Februar, für das die SELK und die Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Fachwissenschaftler um Vorträge zu verschiedenen Aspekten des Themas gebeten hatten.
Beide Kirchen und der Verlag Edition Ruprecht (Göttingen) hatten zum heutigen Dienstag zu einer Buchpräsentation der Neuerscheinung eingeladen. Bischof Martin Schindehütte als Leiter des Amts der UEK in Hannover begrüßte Journalisten, Synodale und Geistliche aus umliegenden Kirchengemeinden zugleich im Namen seines verhinderten Bischofskollegen Hans-Jörg Voigt. Das Buch dokumentiere eine »segensreiche Geschichte, aber auch eine von Schmerz und Gewalt«.
Prof. Dr. Gunther Wenz (München) stellte das Werk am Rande der EKD-Synode in Düsseldorf als »durchweg spannende Lektüre« vor. Er lud dazu ein, das auf dem Buchumschlag abgebildete Tor der »Universität Martin Luthers« (der Leucorea in Wittenberg) zu durchschreiten, denn dieses Buch sei »wegweisend«. Verlegerin Dr. Reinhilde Ruprecht fragte ihn, ob er wisse, dass der abgebildete Torbogen eine Inschrift zum Jenseits trage und Skeptiker eine Verständigung dieser Kirchen wohl auch erst im Jenseits für möglich gehalten hätten. Nun aber gebe es mit dem Tagungsband »ein greifbares Buch im Hier und Jetzt«, das das Mühen um Verständigung schon im Diesseits belege und weiterer Verständigung diene.
Kirchenpräsident Dr. Martin Heimbucher, der – noch in seiner Funktion als theologischer Referent der UEK – Kolloquium und Buchwerdung wesentlich begleitet hatte, erinnerte an den »garstigen Graben der Geschichte« – mit Gastfreundschaft in Verfolgung, aber auch theologischem Nachdenken über das Bekenntnis.
Das erste Kapitel behandelt die Predigt des seinerzeitigen Präsidenten der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union Franz-Reinhold Hildebrandt zur 150-Jahr-Feier der Union, die im Buch als Dokument abgedruckt ist und in Aufsätzen des emeritierten Kirchenpräsidenten Dr. Wilhelm Hüffmeier und von Prof. em. Dr. Volker Stolle behandelt wird. Beide haben ihre Wittenberger Vorträge für die Veröffentlichung erweitert, unter anderem um den Aspekt des Miteinanders (und Nebeneinanders) von Unionskirchen und selbstständigen lutherischen Kirchen zu DDR-Zeiten. Auch im zweiten Kapitel »Preußische Union und selbstständige lutherische Kirchen: Trennung und Kirchwerdung bis 1850« haben die Autoren Dr. Johannes Hund und Prof. Dr. Hellmut Zschoch ihre Referate erweitert, so auch um Abbildungen. Das dritte Kapitel »Union und Bekenntnisbindung im Verständnis des 19. Jahrhunderts« enthält Beiträge der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Albrecht Geck und Prof. Dr. Gilberto da Silva. Im vierten Kapitel »Liturgie als Ausdruck kirchlicher Identität« behandeln zwei Professoren für Praktische Theologie – Dr. Christoph Barnbrock und Dr. Helmut Schwier – sowie der Bandherausgeber Prof. Dr. Jürgen Kampmann die Entwicklung von Gottesdienst und Agenden seit Entstehung der Unionskirchen und selbstständiger lutherischer Kirchen. »Bekenntnis und Bekennen als Fixpunkte kirchlicher Orientierung und Erfahrung« heißt das fünfte Kapitel, dessen Auftakt der nicht im Programm des Kolloquiums enthaltene Beitrag von Privatdozent Pfarrer Dr. Frank Martin Brunn bildet, gefolgt von ebenfalls systematisch-theologischen Aufsätzen aus der Feder von Dr. Andrea Grünhagen und Privatdozent Dr. Henning Theißen. Um »Unerwartete Nähe und naheliegende Weggemeinschaft« geht es Dr. Christian Neddens im sechsten Kapitel des Buchs »Bekennende Kirche und ›Altlutheraner‹ im ›Kirchenkampf‹«. Während seines Vortrags in Wittenberg konnte er nur vereinzelte Beispiele vorstellen, der Aufsatz im Buch behandelt nun umfassend die Zusammenarbeit zwischen altlutherischen Gemeinden und solchen der Bekennenden Kirche an vielen Orten – und ist dadurch nicht nur der längste des Buches, sondern auch der mit den meisten Abbildungen. Viele dieser zeitgenössischen Fotos werden zum ersten Mal veröffentlicht. Das siebte Kapitel »Abendmahl und Abendmahlsgemeinschaft« von Prof. em. Dr. Eilert Herms und Dr. Armin Wenz behandelt einen zentralen theologischen Unterschied im Selbstverständnis beider Kirchen. Die Aufsätze des interdisziplinären Bandes werden abgeschlossen mit Beiträgen zu Kirchengemeinschaft, Konfessionalisierung und Pluralisierung von Prof. Dr. Hans-Peter Großhans und vom Bandherausgeber Prof. Dr. Werner Klän im Kapitel »Ekklesiologie und kirchliche Identität: Gegenwärtige Perspektiven«. Anlässlich der Tagung in Wittenberg waren zwei »Beobachter« gebeten worden, als Fachwissenschaftler ohne eigenes Referat auf Vorträge und Diskussionen zusammenfassend zu reagieren: Bischof em. Prof. Axel Noack und Prof. Dr. Roland Ziegler. Beide haben ihre »Beobachtungen« im Licht der nunmehr überarbeiteten, ausgeweiteten und ergänzten Aufsätze ihrerseits überarbeitet, sodass am Ende des Buchs die Reflexion über dessen Inhalt bereits einsetzt.
Dem 374 Seiten starken Band mit 26 Abbildungen ist ein Geleitwort von Martin Schindehütte als Leiter des Amts der UEK und Hans-Jörg Voigt als SELK-Bischof beigegeben. Alle Aufsätze werden jeweils durch ein »Summary« (Übersetzungen von Marion Salzmann) einem internationalen Publikum erschlossen, Verzeichnisse und Register ermöglichen eine Orientierung innerhalb des Buchs. Der Band (ISBN 978-3-8469-0157-1) kostet 78 Euro.