Rezension
Jahrbuch für Freikirchenforschung (22) 2013
Dieses Buch bietet mehr als der Titel zunächst vermuten lässt. Im Zentrum stehen zwar historische Studien zum Beginn der Mission der Bischöflichen Methodistenkirche und der Evangelischen Gemeinschaft in Hamburg. Aber darüber hinaus führt das Werk auf vielschichtige und anschauliche Weise in Selbstverständnis, Struktur und kirchliche Praxis methodistischer Kirchen ein und stellt Fragen an das heutige missionarische Leben nicht nur der methodistischen Kirchen.
Zentrale Grundperspektiven der folgenden Darstellung werden schon in der Einführung genannt: der missionstheologische Ansatz methodistischer Kirchen, die Umstellung der Mission vom agrarisch-ländlichen Milieu auf die säkular geprägte Stadt, die Frage der strukturellen Gestaltung des missionarischen Lebens der Kirche, das individuelle Leben und Erleben der Träger der Mission, methodistisches Missionsverständnis nicht als Gemeindeerneuerung, sondern als Welterneuerung.
In einem ersten Kapitel geht der Autor den Wurzeln der beiden zu un¬tersuchenden Kirchen in Amerika nach und entwickelt die These, dass so¬wohl Lebensstruktur als auch Verkündigungsinhalte maßgeblich von einem ländlichen Kontext geprägt waren, welchem die deutschen Einwanderer auch ihrer Herkunft nach zumeist entstammten. Die als »Reiter-Missionar[e]« (24) profilierten methodistischen Reiseprediger seien nicht nur als predigende Evangelisten zu verstehen, sondern hätten im Sinne lebenspraktischer Hilfe auch eine diakonische Funktion erfüllt. Die Differenz zum gesellschaftlichen Kontext der methodistischen Bewegung in Großbritannien wird angedeutet, aber — auch in Bezug auf das Profil methodistischer Reiseprediger — nicht weiter ausgeführt. Dass sich doch eine gewisse Prädominanz der Predigt als eigentlichem Tätigkeitskern der Reiseprediger in deren Selbstverständnis ergab und sie trotz des betonten Vorrangs der Soteriologie vor der Ekklesiologie in einer zentralen Rolle auch als »Gemeindegründer« (34) zu verstehen seien, markiert eine gewisse in der Darstel¬lung nicht wirklich ausbalancierte Ambivalenz — oder vielleicht auch nur eine der historischen Wirklichkeit wahrscheinlich nahekommende Vielschichtigkeit.
In den nächsten beiden Kapiteln wird nun der Beginn der Mission der Bischöflichen Methodistenkirche in Hamburg analysiert. Die gesellschaftliche und kirchliche Situation der Hansestadt wird dargestellt und die Entsendung der ersten methodistischen Prediger anschaulich und auch von ihrer geistlichen Motivation her beschrieben Kolportage. Arbeit unter Auswanderern, das Sammeln einer ersten Klasse prägen diese Frühzeit, ohne dass es zu einer kontinuierlichen Entwicklung gekommen wäre. Im Gegenteil: im Kontext der Großstadt wurde de- methodistische Wirken schlicht nicht wahrgenommen oder man begegnete ihm mit Gleichgültigkeit. Die häufigen Wechsel der Prediger mit zumeist ländlichem Erfahrungshorizont sorgten entsprechend für wenig Kontinuität, ebenso die häufigen Raumwechsel. Da es in der Stadt selbst nicht recht gelang, an die vorfindlichen Mentalitäten anzuknüpfen, wurde man in den Vorstädten und Dörfern aktiv. Die Methodisten zogen mit ihrer Art der Arbeit andere Menschen an als die übrigen Freikirchen, aber zu einem wirklichen Auf¬schwung der Mission in Hamburg kam es erst, als von 1878 an die ersten Bethanien-Diakonissen von Frankfurt nach Hamburg kamen, um im Verbund mit der kleinen entstandenen Gemeinde diakonisch zu wirken.
Diese diakonische Tätigkeit wird im folgenden Kapitel schärfer konturiert, das zeigt, wie diakonisches Handeln zunächst als eigenständiger und eigengewichtiger Ausdruck der ganzheitlichen Mission gesehen wurde und nicht nur als Mittel zur Evangelisierung. Die Diakonissen hatten Zugang zu allen Bevölkerungsschichten und fanden früh – früher als die methodistischen Gemeinden – gesellschaftliche und staatliche Anerkennung. Allerdings lassen sich sowohl auf Gemeindeebene als auch bei der Arbeit der Diakonissen schon bald Entwicklungen beobachten, die zu einer schleichenden und unbewussten Auflösung des engen Zusammenhangs von Wort- und Tatverkündigung führten. Mit dem Aufschwung setzte in der Gemeinde der Wunsch nach repräsentativeren Formen der Selbstdarstellung ein. Man forcierte den Bau einer eigenen Kapelle und begann sich stärker als vorher mit Gemeindefragen zu beschäftigen. Das Aufblühen der Diakonissenarbeit führte 1893 zur Einrichtung eines eigenen Krankenhauses, wodurch der enge auch räumliche Zusammenhang mit der Gemeinde gelöst wurde. Voigt sieht in diesen Entwicklungen Grundtendenzen, die religionspsychologisch verständlich sind, dem missionstheologischen Ansatz des Methodismus aber eigentlich entgegenlaufen: von der Rettung Verlorener verlagert sich der Schwerpunkt zur Bildung neuer Gemeinden; aus der ganzheitlichen Mission, die Diakonie und Kirche zusammenband, werden Aktivitäten, denen in getrennten Häusern mit je eigenem Schwerpunkt nachgegangen wird.
Einen Neueinsatz bietet das folgende Kapitel, in dem nun die Mission der Evangelischen Gemeinschaft in der Hansestadt untersucht wird. Diese begann sehr viel später als die der Methodistenkirche und auch gleich im Verbund mit der Tätigkeit von Diakonissen. In seiner Darstellung betont Voigt hier stärker missionsstrategische Aspekte als in den Kapiteln zuvor, wo er vor allem die geistliche Begründung diakonischer Tätigkeit in den Mittelpunkt gestellt hatte. Auch tritt hier insofern eine Perspektivänderung ein, als dass man eigentlich von »südwestdeutschen« statt »transatlantischen Einwirkungen« sprechen müsste. kamen die meisten Prediger doch aus diesem regionalen Zusammenhang. Schneller als bei der Methodisten-kirche kam es zu einem Aufblühen der Arbeit. früher kam es aber auch zu Anzeichen der Loslösung der beiden Arbeitsbereiche voneinander. »Während die Gemeinde noch bei den Armen blieb, entwickelte die Diakonie bereits eigene Vorstellungen und Strukturen« (192). Mit der Einbindung in die Strukturen der Wohlfahrtspflege habe die Diakonissenarbeit ihre originäre missionarische Zuspitzung verloren. Langfristig sei mit den Entwicklungen eine Wandlung sowohl der jeweiligen Pastoren- und Diakonissenbilder als auch des Selbstverständnisses der Diakoniewerke verbunden gewesen. Bis heute sei die Evangelisch-methodistische Kirche von ihren Strukturen her als missionarische Bewegung konzipiert – ein Zusammenhang, der in den Gemeinden heute vielen nicht mehr bewusst sei.
Wird in dem Buch immer wer ein solcher Brückenschlag in die Gegenwart unternommen, so kann das abschließende Kapitel »Ganzheitlich Kirche sein« als aktuelle Einführung in Selbstverständnis und Lebensvollzug methodistischer Kirchen gelesen werden. Ausgehend von dem für die historische Situation in Hamburg erhobenen Befund zeigt der Autor konzentriert Grundanliegen und -prinzipien methodistischen Kirche-Seins auf und fragt selbstkritisch nach den Herausforderungen und Chancen, missionarisch zu wirken. Dabei werden – wie auch schon vorher im Buch – die Differenzen zu kongregationalistisch geprägten Gemeindeverständnissen und Gemeindeaufbauprogrammen deutlich, gleichwohl wird aber auch die Identitätskrise angesprochen, die sich aus dem Fehlen besonderer theologischer Propria und dem nicht von Generation zu Generation zu tradierenden Kern erfahrungsbezogener und sozial gelebter Frömmigkeit für die methodistischen Kirchen ergibt.
Empfohlen werden kann das Buch nicht nur jedem, der sich für die Kirchengeschichte Hamburgs interessiert, sondern jedem, der eine Einführung in die Besonderheiten methodistischer Kirchen sucht und nach dem missionarischen Auftrag der Kirche fragt. Für all das leistet dieses Werk ausgezeichnete Dienste.
Thomas Hahn-Bruckart