Rezension
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 104, Heft 26, 29. Juni 2007, Seite 1904
Lange dominierte in der historischen Forschung die Auffassung, das frühe Christentum habe nur wenige Spuren auf dem Sektor der Heilkunde hinterlassen. Dieser pauschalen These widerspricht Christian Flügel in seiner in Bochum angefertigten medizin-historischen Dissertation, die an der Schnittstelle von Klassischer Philologie, Kirchengeschichte und antiker Medizingeschichte angesiedelt ist. Sein Quellenkorpus umfasst 32 Inschriften in griechischer oder lateinischer Sprache aus dem dritten bis siebten Jahrhundert. Oft sind die überlieferten (samt deutscher Übersetzung wiedergegebenen) Texte kurz, bisweilen findet man jedoch auch längere Mitteilungen, wie die Folgenden: »Hier liegt die Levit Dionysius, von ehrenwerter Kunst, der auch die Pflicht erfüllte, die die Medizin gab. Seine geschulte Hand, von angenehmem Ruhm umfangen, verachtete es, dem schmutzigen Gewinn einer Entlohnung zu folgen (...) Er diente himmlischem Lob in treuem Geist (...) Seine bewundernswerte Kunst stärkte den Glauben, die Zierde seines Glaubens steigerte die Kunst.« Solche Zeugnisse setzt Flügel behutsam in den theologischen und medizinischen Kontext ihrer Entstehungszeit und führt, auch mit der Materie wenig vertrauten Lesen, mögliche Deutungen in eleganter und anschaulicher Weise vor.
Die Darstellung umfasst folgende Bereiche: Nächstenliebe und Seelsorge, kirchliches Frauenbild/kirchliche Ämter und der Beruf von Arzt beziehungsweise Ärztin, religiöse Überzeugungen und antike Ärzteschulen, Lebensschutz sowie Auferstehungsglaube. Dem Wandel moralischer Überzeugungen, etwa auf dem Gebiet der Sexualität, wird besonderes Gewicht gegeben. Wer die christlichen Ursprünge westlicher Medizin ausführlicher kennenlernen möchte, sollte zu Flügels kenntnisreicher Untersuchung greifen.
Axel Karenberg