Rezension
Podium Nr. 2/2013
Internet und Soziale Netzwerke sind kaum mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Die Verflechtung von Mensch und Technik nimmt stetig zu, vielfach bestimmen die elektronischen Medien unser Leben stärker mit, als uns lieb ist. Der epochale Wandel, den die interaktive Nutzung digitaler Kommunikationsmedien, zusammengefasst unter dem Stichwort »Web 2.0« (Tim O’Reilly) mit sich gebracht hat, fordert die Wissenschaften, einschließlich der Theologie, zur Stellungnahme heraus.
Das von den beiden Theologinnen Christina Constanza und Christina Ernst herausgegebene Buch »Personen im Web 2.0« bündelt die Diskussionsbeiträge einer Fachtagung an der Universität Göttingen unter der Leitfrage: Verändert sich unser Selbst-, Welt- und schließlich Gottesverständnis durch die lebensweltliche Präsenz der Social Media?«
Ausgangspunkt für die Herausgeberinnen ist die Beobachtung »Wir benutzen das Internet nicht, wir leben darin und damit« (Piotr Czerski). Dies führe zu einer Verschränkung von Online-und Offline-Kontexten, zum Verwischen der Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.
Die Folge sei eine Vervielfältigung und Erweiterung von Lebensweisen, Selbstbeschreibungen, Handlungsoptionen und Erlebnismöglichkeiten menschlichen Personseins. Constanza und Ernst sehen die Theologie als »Wirklichkeitswissenschaft« herausgefordert, die mit dem medialen Wandel einhergehenden Transformationsprozesse — im Dialog mit den Human- und Sozialwissenschaften — eigenständig zu reflektieren.
Der Sammelband bietet in seinen zehn Beiträgen recht unterschiedliche interdisziplinäre »Zugänge zu einer Theologie der Social Media.« Dabei stehen eine dogmatische (christliche Anthropologie, Lehre vom Menschen) und eine ethische Sichtweise (Medienethik) im Vordergrund, aus je eigener Perspektive kommen die Kommunikations-, Sprach- und Rechtswissenschaften zu Wort. Alexander Filipovi? vertritt in seinem Beitrag zum Verständnis des Menschen im Web 2.0 die Auffassung, dass die christliche Anthropologie nicht als statisch missverstanden werden dürfe, sondern entsprechend den Glaubenserfahrungen variiere. Die bedingungslose Zuwendung des Schöpfergottes könne den Einzelnen »vom Zwang befreien, sich als Jemand zu profilieren oder gar ›zu managen‹.« Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus und die bleibende Unverfügbarkeit Gottes kennzeichnen das Spannungsfeld des biblischen Redens von Gott.
Christina Ernst bezieht diese beiden Aspekte im Sinne der »Gottebenbildlichkeit« des Menschen auf die Selbstdarstellungen in Facebook, in denen die Akteure zugleich sichtbar und entzogen sind. Christina Constanza greift diesen Gedanken auf und arbeitet auf dem Hintergrund von Wolfhart Pannenbergs »negativem Personenbegriff« heraus, dass die Menschen in der medialen Kommunikation auch unter den ambivalenten Bedingungen einer »Fernanwesenheit« (zugleich abwesend und anwesend) Person, also prinzipiell unerforschlich bleiben.
Karsten Kopjar und Andrea Mayer-Edoloeyi argumentieren in ihren Beiträgen dafür, dass die Kirchen die Sozialen Netzwerke zukünftig engagierter für die Kommunikation des Evangeliums und der Verwirklichung einer christlichen »Ethik sozialer Verbundenheit« nutzen sollten: Das Evangelium gilt auch den Digital Natives.
Ein nicht ganz leicht zugänglicher, aber lesenswerter Sammelband, der sich an theologisch Interessierte wendet und interdisziplinäre Anstöße für eine noch zu entwickelnde »Theologie der Social Media« gibt.
Achim Härtner