Rezension
Lutherische Theologie und Kirche, 36. Jahrgang (2012) Heft 3
Der auf Zusammenarbeit zwischen Klän und Ziegler in den neunziger Jahren zurückgehende Band schließt sich als dritter deutschsprachiger Sasse-Sammelband der Reihe in statu confessionis an und enthält Aufsätze und bislang unveröffentlichte Schriften aus den früheren Sasse-Jahren, zwischen 1929 und 1944. Wegen der komplexen historischen Umstände dieser Jahre fordert der Band verhältnismäßig viel historisches Hintergrundswissen vom Leser. Die Herausgeber geben durch zahlreiche Fußnoten eine beeindruckende Hilfeleistung für den, welchem die eine oder andere historische Frage übrig bleibt. Aufgeteilt wird der Band in drei thematische Bereiche: »Union und Bekenntnis«, »Kirchenkampf«, und »Ökumene«, und einen nicht-thematischen Bereich, »Gutachten und Stellungnahmen«. Insgesamt erscheinen im Band neunundzwanzig Texte von Sasse. Ihnen wird eine kurze »historisch-biographische Einleitung« vorausgeschickt, die mit vielen Verweisen auf die sich im Bande befindenden Texte den Leser in die einschlägigen Fragen einleitet, welche Sasse bewegten. Ihr Verfasser, Werner Klän, schließt sie mit dem Wunsch, man möge folgendes Zitat von Sasse als Leitwort des Bandes verstehen: »Bekenntnistreue und echte Ökumenizität gehören zusammen.« Anhand der Wahl und Unterteilung der Texte wird es offenbar, dass versucht wurde, genau diesen Wunsch umzusetzen. Um einen etwas repräsentativen Einblick in den Band zu verleihen, möchte ich zwei Texte aus der von den Herausgebern vorgenommenen Auswahl hervorheben und kurz referieren.
Der erste, der bloß drei Seiten (80–82) umfasst, steht unter dem Titel »Lutherische Kirche und Kirchenverfassung«. Ein Blick auf das hinten im Band abgedruckte Verzeichnis verrät eine Erstveröffentlichung im Jahre 1934 im Band 16 der LK. Im Text befasst sich Sasse mit den Folgen der Behauptung, mit der er auch beginnt, nämlich: »Das Luthertum ist die einzige der großen christlichen Konfessionen, die keine bestimmte äußere Ordnung als zum Wesen der Kirche gehörig kennt.« (80) Ihm ist das letzte – »zum Wesen der Kirche« – besonders wichtig. Denn sowohl seitens der römisch-katholischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen, wie auch der reformierten Kirche gilt die jeweilige Kirchenverfassung, das dreifache Amt mit dem Prinzip der apostolischen Sukzession bzw. die Presybterial- und Synodalverfassung, als unverhandelbares Kennzeichen der Kirche. Allen gegenüber stehe die lutherische Kirche, die zu ihren Kennzeichen nur die Verkündigung des Evangeliums und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente zähle, aber keine Kirchenverfassung. Dies habe zur Folge, dass die lutherische Kirche unter ganz unterschiedlichen Verfassungsstrukturen leben könne, nicht aber, dass sie frei sei, ihre äußerliche Regierung »dem Staat oder anderen weltlichen Gewalten« zu »überlassen«. (81) Dass dies in der deutschen Geschichte in der Form des landesherrlichen Kirchenregiments passiert ist, sei kein Gegenbeweis; die damalige Notlösung habe einen Grund gehabt, hätte aber nicht zum Dauerzustand werden dürfen. Obwohl keine Verfassung die Erhaltung der reinen Lehre gewährleistet, gebe es welche, darunter auch das landesherrlichen Kirchenregiment, die sie auf Dauer mit Notwendigkeit zerstören. Sasse sorgt sich, dass gerade 1934, dies passiere, dass das Existenzrecht der Kirche Augsburgischer Konfession durch die Zwangszusammenlegung mit den Reformierten, welche die Kirchenverfassung ermöglicht, nicht mehr bestehen werde. Auf diesem Hintergrund ruft er dazu auf, »mit dem Satz ernst [zu] machen, dass nur die Kirchenverfassung für die lutherische Kirche tragbar ist, die dem nicht widerspricht, was unser Bekenntnis über die Kirche, über die Einheit der Kirche, über ihr geistli¬ches Amt und ihr Kirchenregiment lehrt«. (82) Dank der Herausgeber weiß man, worauf Sasse sich bezieht, nämlich auf die Versuche des damaligen Amtswalters für evangelische Angelegenheiten in der Reichsleitung der NSDAP und Ministerialdirek¬toren im preußischen Kultusministerium August Jägers von April 1934, die deutschen Landeskirchen weitestgehend zu uniformieren.
Einen zweiten Textzusammenhang im Band, der von Interesse ist, machen die beiden Texte »Warum müssen wir an der lutherischen Abendmahlslehre festhalten?« (105–122) und »Quatenus oder Quia« (123–128) aus. Dabei handelt es sich eigentlich um drei Texte: zunächst um einen Aufsatz von Sasse, erschienen AELKZ 71 (1938), dann die Antwort eines Pfarrer Höppls darauf, und endlich Prof. Sasses Antwort auf Höppl, beides ebenfalls AELKZ 71 (1938) erschienen. Im Aufsatz behandelt Sasse die Frage: »Warum müssen wir an der lutherischen Abendmahlslehre festhalten?« Ausgehend von einem Käsemann-Zitat setzt er sich auf prinzipiellem Niveau mit der Fähigkeit der »neueren Forschung«, überhaupt Lehre aus der Exegese zu vermitteln, auseinander. Wo behauptet wird, dass kein moderner Exeget mit gutem Gewissen die lutherische Abendmahlslehre aus der Schrift verteidigen könne, fragt Sasse rhetorisch, welche Lehre der CA von diesem Stand der Dinge nicht getroffen wäre (111). Exegetisch plädiert er gegen Käsemann, der das Paulinische vom Johanneischen vom Synoptischen unterscheidet und trennt, für ein Hinschauen auf »das Gesamtzeugnis des Neuen Testaments vom Mahl des Herrn.« (117) Spezifisch bedeutet dies, die Abendmahlslehre des Paulus heranzuziehen, um die knappen Berichte der Synoptiker auszulegen. Verdrehe man dafür die Berichte der Synoptiker so, dass ein symbolisches Verständnis entstehe, sei man entweder den reformierten Weg der »gewaltsamen Umdeutung« des »ursprunglichen Sinnes« der Abendmahlslehre des Paulus, oder den Weg des protestantischen Modernismus, der »sie als falsch und unverbindlich ablehnt«, gegangen. Abschließend hält Sasse fest, dass diese Haltung des protestantischen Modernismus, der die Einheit der Heiligen Schrift zerstört, ebenfalls deren Autorität zerstört. Damit wären sowohl Schrift wie auch Abendmahl gefallen, die aber zusammen gehören als Zentrum des Lebens und der Lehre der Kirche. (122)
Mit dieser Ausführung begründete Sasse das, was er am Anfang des Aufsatzes behauptet: die Zuschauerhaltung eines quatenus abgelegten Ordinationsgelübdes sei mit einem reformierten Verständnis der Bekenntnisverpflichtung gleichzusetzen, und obwohl im Einzelfall verständlich, dennoch öffentlich und nicht heimlich zu vertreten. (106–7) Auf diesen Aufsatz folgt die schon erwähnte Reaktion Pfarrer Höppls, der sich, durch Sasses Bezeichnung des quatenus als reformiert, vor die Entscheidungsfrage: »Quia oder quatenus?« gestellt fühlt. Er steht aber zum quatenus, und beruft sich darauf, dass er sich erlaubt habe, seine »Ordination als Ordination auf den Christus, die Wahrheit, zu verstehen«. (124) Daraus folgert er, dass sein quatenus nicht nur die Bekenntnisschriften betreffe, sondern auch die Bibel. Höppls Einwände beantwortet Sasse mit einer dreifachen Begründung der Notwendigkeit des quia: Erstens gebe es eine große Not in den Gemeinden, die der Willkür der theologischen Mode ausgeliefert sind. Aus christlicher Liebe habe der evangelische Pfarrstand sich an der Lehrverpflichtung zu halten (125–6). Dann aber kann eine solche Lehrverpflichtung nicht durch ein »soweit« bedingt sein. Dabei will Sasse nicht die Stellung des Bekenntnisses als norma normata zur Bibel als norma normans verkehren, sondern das quatenus dort ablehnen, wo es gebraucht wird, um die Frage zu verharmlosen, »was wir zu tun hätten, wenn unsere Bekenntnisse nicht schriftgemäß lehrten« (126–7). Endlich weist er auf Höppls Folgerung hin, dass das quatenus auch der Bibel gelte. Wenn es um den »Christus, der durch die Bibel zu suchen ist«, geht, und nicht um den »Christus, der in der Bibel zu finden ist«, macht man die eigene Vernunft zur norma normans. Dies hat »den Verzicht auf den Schriftbeweis in der Dogmatik« zur Folge, und bedeutet damit »das Ende der Reformation.« (127)
An der Qualität und Gestaltung des Bandes ist kaum was zu bemängeln. Es sind nur die wenigsten Druckfehler aufgefallen (Seite 228: »regarding« statt: »redargint«; wie auch Seite 253, wo ein Leerzeichen fehlt: »Rechtfertigungdes«). Ein Register ermöglicht das Nachschlagen von Themen und Personen. Dem Leser fehlen zunächst bei den jeweiligen Artikeln die Details der Erstveröffentlichungen; diese befinden sich aber im »Verzeichnis der Erstveröffentlichungen« ebenfalls hinten im Band, nach Datum geordnet. Die oben erwähnte historische Einleitung wird ziemlich kurz gehalten, sodass man sich an der Stelle mehr Ausführlichkeit wünscht. Allerdings wurde diese Arbeit schon an anderen Stellen geleistet, wie den Fußnoten der Einleitung zu entnehmen ist, sodass man es kaum erneut von den Herausgebern erwarten könnte. Als letztes darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Band mit einem Geleitwort von den leitenden Geistlichen der Kirchen der beiden Herausgeber versehen ist: nämlich vom President Matthew Harrison der LCMS und Bischof Hans-Jörg Voigt der SELK.
Dem Rezensenten hat es erneut eine Freude gemacht, ihm unbekannte Texte von Prof. Sasse zu lesen. An ihnen zeigte sich wieder derselbe theologische Scharfsinn, den man aus Sasses anderen Schriften schon kennt. Es bleibt nur einen Dank an die beiden Herrn Herausgeben auszusprechen, die mit diesem schönen Band die Texte zugänglich gemacht haben.
Jacob Corzine