Rezension
Theologisches Gespräch 04/2012
Dieser kleine Band ist der fünfte in einer erstaunlichen Reihe: Sie dokumentiert in zweijährlicher Regelmäßigkeit die Beiträge und eine Zusammenfassung des Symposiums, das mit wechselnden Themen seit zehn Jahren im Paderborner »Johann-Adam-Möhler Institut für Ökumene« mit Theologen aus der römisch-katholischen Kirche und der Vereinigung evangelischer Freikirchen stattfindet. Ins Leben gerufen wurde diese Veranstaltung von Bischof WALTER KLAIBER und Professor WOLFGANG THÖNISSEN, dem Leitenden Direktor des Möhler-Instituts. »Dass Katholiken und Freikirchler gemeinsam das Evangelium entdecken, das haben sie in den vielen Jahren gemeinsamer ökumenischer Begegnung gelernt«, schrieben beide in ihrem Vorwort zum ersten Band (2002). »Dass sie dies theologisch gemeinsam buchstabieren können, das müssen sie erst noch lernen.« So wurde mit teilweise wechselnder Besetzung weiter buchstabiert und publiziert. Bisher erschienen die Bände über Rechtfertigung (2003), Glaube (2005), die Bibel im Leben der Kirche (2007), Kirche und Gemeinde (2010) und der hier näher vorzustellende Band über Ursprung und Sendung der Kirche. Die acht Textbeiträge (außer einer sehr nützlichen »Spurensuche« in ökumenischen Dialogen zwischen katholischer Kirche und Freikirchen von JOHANNES OELDEMANN, zwei Andachten und einem »Versuch der Zusammenfassung« des Gesprächs) sind keine langatmigen Abhandlungen oder geglätteten Konsenstexte, sondern informative, zum Teil ermunternd eckige Darlegungen, den Partnern aus den anderen Konfessionen offen und freundlich zugewandt, ohne »unterschiedliche und durchaus auch trennende Differenzen« (so die Herausgeber in ihrer Zusammenfassung) zu überspielen. Das »Buchstabieren« der beiden hier erörterten Attribute »Katholizität« und »Apostolizität« war auch deshalb nötig, weil sie in den meisten Freikirchen eher selten verwendet werden, bei genauerem Hinsehen jedoch einen wichtigen Platz in ihrem Selbstverständnis einnehmen. Da jedem Referat jeweils eine kurze Zusammenfassung des Autors angefügt ist, kann man sich einen raschen Überblick über den Inhalt des Symposiums verschaffen.
Die ersten beiden Darlegungen gelten der Untersuchung der »Katholizität« und »Apostolizität« im Neuen Testament. MARIA NEUBRAND (röm.-kath.) analysiert den Gebrauch der beiden Begriffe im lukanischen Doppelwerk, im Corpus Paulinum und den Deuteropaulinen mit dem Ergebnis, dass das Neue Testament »keinen univoken Apostelbegriff« habe, jedoch als »gemeinsame Komponenten« »die Begegnung mit dem Auferweckten und die damit verbundene Sendungsaufgabe« kenne. (33) WALTER KLAIBER (ev.-meth.) wählt von vornherein eine »freikirchliche Sicht« für seine Einführung und stellt die Frage, »wie unter der Voraussetzung heutiger exegetischer Arbeit und Erkenntnisse freikirchliche Theologie das neutestamentliche Zeugnis von der Katholizität und Apostolizität der Kirche liest«. Er konstatiert, dass die Katholizität der Kirche in der »universalen Geltung« dessen gründe, »was Gott in Jesus Christus getan hat«, woraus »die Universalität und Inklusivität der Mission« folge. Die Apostolizität beruhe »auf der Treue zum apostolischen Evangelium und zum Auftrag apostolischer Sendung«. (52) Die dogmengeschichtliche und dogmatische Tradition der römisch-katholischen Kirche stellen BURKHARD NEUMANN (Katholizität) und WOLFGANG THÖNISSEN (Apostolizität) in den Kontext gegenwärtiger ökumenischer Perspektiven. NEUMANNS diachrone Analyse der Begriffsinhalte führt zur Frage nach der »Spannung von Wahrheit und Universalität« und zur Forderung nach einer Unterscheidung von quantitativer und qualitativer Katholizität (61 ff.). Das 2. Vatikanum (Lumen gentium) biete selbstkritische Aussagen von ökumenischer Relevanz, die zur Bewahrung eines evangelischen Bekenntnisses zur Katholizität beitragen können (70). Überraschend ist die Korrespondenz solcher Überlegungen zum Vorschlag von MARKUS IFF (Freie evangelische Gemeinden), entgegen einem »spiritualistischen Grundzug« der eigenen Ekklesiologie in jedem Glaubenden eine »katholische Person« zu sehen, »weil in jedem der ganze Christus durch den Heiligen Geist innewohnt« (164). Die vollkommene »ecclesia invisibilis« realisiere sich in Beziehungen zu anderen Christen und zur »Gemeinschaft aller Auserwählten und Wiedergeborenen« aller Zeiten (167 f.). Ebenfalls in Anlehnung an Lumen gentium entfaltet THÖNISSEN die Apostolizität der Kirche in ihrer Verbindung von Inhalt und Strukturen (131f), von apostolischer Botschaft und Bischofsamt als Fortsetzung des neutestamentlichen Apostolats. ANDREA LANGE (mennonitisch) hingegen bestreitet die Notwendigkeit eines Amts als »Garant für die Apostolizität« (136). In Aufnahme zahlreicher offizieller Dokumente (bis zum Abschlusstext des Dialogs zwischen Mennonitischer Weltkonferenz und päpstlichem Einheitsrat, 2003) plädiert sie für ein inhaltlich bestimmtes Verständnis von Katholizität und Apostolizität anstelle eines formal-institutionellen (152). MARTIN ROTHKEGEL (baptistisch) sieht – wie im Grunde alle evangelischen Freikirchler – die genannten Wesensbeschreibungen der Kirche »durch die geistliche Anwesenheit Christi in der Anrufung seines Namens und im Hören seines Wortes« zugeeignet. Ein baptistischer Beitrag liege vor allem in der »Überwindung eines zugespitzten Kongregationalismus« (93). Auch PETER VOGT (Herrnhuter Brüdergemeine) entdeckt unter einem spärlichen Vorkommen der beiden Attribute im heutigen Diskurs ihre Bedeutung für die Anfangszeit seiner Kirche; er entfaltet auf der Basis von ZINZENDORFS Ekklesiologie und Tropenlehre ein spezifisch herrnhutisches Verständnis von Katholizität und Apostolizität auf einem christologischen Fundament und mit dem Blick auf die »oikumene christiana« (ZINZENDORF!).
Alle Beiträge informieren authentisch und verlässlich, anspruchsvoll und verständlich und leiten zu einer gewissenhaften Reflexion über ein konfessionsumgreifendes Verständnis dieser wichtigen Kennzeichen der Kirche an.
Manfred Marquardt