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Rezension

Theologische Handreichung und Information für Lehre und Praxis der lutherischen Kirche, 30. Jahrgang, Mai 2012, Nr. 2

Was es mit der Konkordienformel auf sich hat, sollte jeder lutherische Christ wissen. Als Konfirmand hat er hoffentlich erfahren, dass diese Schrift als letzte von den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche entstanden ist. In der Konkordienformel wurden die nach Luthers Tod ausgebrochenen Debatten und Streitigkeiten unter lutherischen Theologen zu einem vorläufigen Abschluss gebracht. Diese Bekenntnisschrift besteht aus zwei Teilen: einer Langfassung (Solida Dedaratio = Ausführliche Darlegung, Abk. SD) und einer Kurzfassung (Epitome = kurzer Auszug, Abk. Epit.). In beiden Teilen werden die gleichen Themen in jeweils 12 Artikeln behandelt.
Der vorliegende Band von Robert Kolb enthält nicht etwa den Text dieser Bekenntnisschrift. Diesen findet man in den gängigen Ausgaben des »Christlichen Konkordienbuches« (seit 1580)72 Kolb liefert einen kenntnisreichen Überblick über die Vor- und Entstehungsgeschichte der Konkordienformel. Mancher unter unseren Lesern mag C.F.W. Walthers »Stern und Kern der Konkordienformel« kennen.73 In diesem Buch hat der Gründervater der Missourisynode 1877 aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums die Vorgeschichte der Konkordienformel allgemeinverständlich geschildert und in Verbindung mit der Kurzfassung (Epitome) abgedruckt.
Für Englischkundige war außerdem schon bisher die ausführliche »Historische Einleitung« zur dreisprachigen74 Ausgabe der Bekenntnisschriften »Triglotta« von 1921 aus der Feder von Friedrich Bente eine wichtige Quelle für Hintergrundinformationen zur Konkordienformel.
Was Robert Kolbs Werk auszeichnet, ist seine Prägnanz und Übersichtlichkeit. Auf 180 Seiten bietet er einen genialen Überblick über die zum Teil recht komplizierten theologischen Auseinandersetzungen, die zu den einzelnen Artikeln der Konkordienformel führten. So geht es in den Kap. I—VI um folgende Kontroversen:
I. Die theologische Spannungen unter Luthers Anhängern vor seinem Tod
II. Schmalkaldischer Krieg, Interim und Adiaphorakontroverse75
III. Majoristenkontroverse76 und Antinomistenstreit77
IV. Der synergistische78 Streit — die Kontroverse über die Erbsünde und die Erwählungslehre
V. Der Osiandrische79 Streit über die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt
VI. Streit um Abendmahl und Christologie
Daran anschließend werden in Kap. VII und VIII die Einigungsversuche unter Leitung von Jakob Andreae behandelt, die schließlich zur Konkordienformel führten. Ein letztes Kapitel (IX) schildert die Reaktionen, die auf die Konkordienformel erfolgten.
Lange Zeit waren Spätreformation und lutherische Orthodoxie ein in der Kirchengeschichtsschreibung weitgehend vernachlässigtes Feld In den letzten 40 Jahren sind zahlreiche Einzeluntersuchungen veröffentlicht worden, die diese Zeit wieder mehr ins Bewusstsein gerückt und unseren Kenntnisstand verbessert haben. Zu nennen sind hier vor allem die Untersuchungen von Irene Dingel (Mainz) und Ernst Koch (Leipzig). Aber auch Robert Kolb hat mit zahlreichen Arbeiten einen großen Beitrag dazu geliefert Das Literaturverzeichnis führt allein 32 Titel von Kolb auf (S. 195f).
Dabei versteht es der Verfasser, seine immense Kenntnis so zu bündeln, dass in den Fußnoten nur die nötigsten Quellen- und Literaturhinweise erscheinen, ohne den Leser in einer Flut von Material ertrinken zu lassen.
Robert Kolb hat am Concordia Seminary der Lutheran Church Missouri Synod in St. Louis studiert und war dort von 1993—2010 als Professor für Systematische Theologie tätig. Unter anderem hat er zusammen mit Timothy Wengert eine neue englische Übersetzung der lutherischen Bekenntnisschriften herausgegeben.80
Im einführenden Vorwort von Thomas Kaufmann wird Kolb »als heute wohl bester Kenner der lutherischen Theologiegeschichte des konfessionellen Zeitalters in der englischsprachigen Welt« bezeichnet (S. 10). Kaufmann räumt ein, dass das freikirchliche Luthertum offenbar einen direkteren und intensiveren Zugang zu den Bekenntnissen der lutherischen Kirche hat (ebd.). Und er hält im Unterschied zu seinem eigenen Ansatz fest, dass Kolb nicht — wie heute weithin üblich — die gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Vorgänge der Spätreformationszeit in den Vordergrund rückt (man spricht heute gern von »Konfessionalisierung«), sondern das Ringen um die theologische Wahrheit.
Dass R. Kolbs Herz für die lutherische Kirche und Theologie schlägt, ist zu spüren, wenn er schildert, wie sachliche Differenzen und auch persönliche Verletzungen an manchen Punkten eine Einigung unmöglich machten (z.B. S. 67f.148). Am Ende ging es bei der Konkordienformel nicht um einen faulen Kompromiss »auf einem verschwommenen Mittelgrund irgendwo zwischen Fraktionen, die miteinander im Streit lagen, sondern um Berücksichtigung der besonderen Anliegen dieser Gruppen, soweit die Verfasser des Einigungswerkes dies für schriftgemäß und vor der Kirche verantwortbar hielten« (S. 180).
Der Oberurseler Luth. Theol. Hochschule ist für die Herausgabe dieses Bandes zu danken. Die deutsche Übersetzung von Marianne Mühlenberg liefert einen gut lesbaren Text, dem höchst selten die sprachliche Transformation anzumerken ist. Ein sehr zu empfehlendes Buch, das nicht nur Pfarrer und Theologiestudenten lesen sollten, sondern auch andere interessierte lutherische Christen.
Gottfried Herrmann

72  Zum Beispiel: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1930 (Göttinger Ausgabe, Deutsch – Lateinisch); oder: Unser Glaube, Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Ausgabe für die Gemeinde (H.-G. Pöhlmann), Göttingen [6. erweiterte Aufl. für 2012 geplant].
73  C.F.W. Walther, Der Concordienformel Kern und Stern, Unveränderter Nachdruck, Groß Oesingen 2006.
74  D.h. auf Latein, Deutsch und Englisch. 1917 in St. Louis/MO erstmals erschienen.
75  Adiaphora = Mitteldinge, die nach Gottes Wort nicht geboten oder verboten sind.
76  Georg Major (1502—574) ist in der Reformationszeit dadurch bekanntgeworden, dass er gute Werke als »nötig für die Seligkeit« bezeichnet hat (vgl. Konkordienformel Art- 4, z.B. BSLK 945).
77  Antinomisten (auch Antinomer) = Theologen, die jede Bedeutung des Gesetzes (nomos) für Christen völlig ablehnen (vgl. Konlcordienformel Art. 5, BSLK 951ff).
78  Synergismus = das Mitwirken des Menschen zu seiner Seligkeit.
79  Andreas Osiander (1498—1552) vertrat eine eigenwillige, von der Bibel abweichende Rechtfertigungslehre.
80  The Book of Concord, hg. von Robert Kolb und Timothy Wengert, 2000

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