Rezension
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 99. Band • 2012 • Heft 1
Die Verfasserin legt eine lesenswerte Studie zu der kleinen Mittelstadt Duderstadt vor, in der ersten Hälfte des 16. Jh.s von 3.200 bis 3.500 Einwohnern bevölkert, und analysiert Vergehen der niederen Gerichtsbarkeit. Und in dieser spiegeln sich zumindest Ausschnitte des alltäglichen Lebens der agrarisch geprägten Stadt. Die Studie fügt sich in die noch vergleichsweise überschaubare Reihe von Bänden zur historischen Kriminalitätsforschung ein, welche einleitend vorgestellt wird. Wie in zahlreichen anderen Städten, aber vergleichsweise früh, erfolgte eine Einschränkung der Ratskompetenzen; auch in Duderstadt lieferte der Bauernkrieg den Grund für die neue Stadtordnung von 1526, erlassen vom Mainzer Stadtherren. Die Befugnisse des Rats, dessen Mitglieder lebenslänglich amtierten, wurden auf die niedere Gerichtsbarkeit in der Stadt sowie in elf umliegenden Orten reduziert, und sämtlichen Sitzungen oder Beratungen musste der Schultheiß oder sein Vertreter als Organ des Kurfürsten beiwohnen.
In dieser Konkurrenzsituation dürfte die Ursache für das Anlegen des von 1530 bis 1546 geführten Strafbuchs zu suchen sein, denn die Stadt wollte sich nicht auf die Verzeichnisse des Schultheiß über die Urteile des Ratsgerichts verlassen, stand doch beiden Seiten die Hälfte der Einnahmen zu. Zudem amtierte seit 1528 vorläufig ein Ortsfremder als Schultheiß, was das Misstrauen erhöhte. Bis 1546 dürften sich die Spannungen soweit abgebaut haben, dass die Stadt eine weitere Kontrolle nicht mehr für nötig hielt, die Einnahmen blieben ohnehin überschaubar.
Die Verfasserin unterteilt die Delikte in drei große Gruppen: Vergehen gegen den (städtischen) Frieden, die verschiedenen Formen des Frevels sowie Beleidigungen oder Angriffe auf den Rat und die Bediensteten. Gut 3.100 Fälle konnten erschlossen werden, aber da es sich nicht um alle Delikte handelt, viele überhaupt nicht vor Gericht gelangten, verzichtet Bilgenroth-Barke zu Recht auf eine statistische Auswertung (S. 18, 72). Hausfriedensbrüche einschließlich der Verletzung von Hof und Garten machten 180 Nile aus, richteten sich aber häufig gegen anwesende Gäste. Vergehen innerhalb der Familie kamen kaum zur Anklage, in öffentlichen Gebäuden kam es nur selten zu Delikten; ob Bader aber als unehrlich gelten, lasse ich offen. Verbale Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit regelten die Beteiligten zumeist ohne Rat. Auch der Totschlag (neun Fälle) zählte zur niederen Gerichtsbarkeit. Bei den Freveln findet sich die breite Palette frühneuzeitlicher Vergehen gegen die obrigkeitlichen Bestimmungen, wobei die Zünfte die überwiegende Zahl von Streitigkeiten zwischen Handwerkern noch intern regulierten. Verstöße gegen Feuerschutzvorschriften schlugen sich kaum im Strafbuch nieder, und die Verfasserin vermutet zu Recht ein Eigeninteresse der Bewohner an deren Einhaltung. Mit knapp 2.000 Eintragungen rangierten die Feldfrevel an erster Stelle, und diese Geldstrafen flossen in voller Höhe in die Stadtkasse. Besonders die Flurschtitzen waren daher das Ziel von Beleidigungen oder tätlichen Angriffen, doch nur in einem Fall richteten sich die Schmähungen gegen den Rat – in Nürnberg oder Konstanz mit differenzierter Sozialstruktur war dieses Delikt wesentlich häufiger Gegenstand der Rechtsprechung. Eine Reglementierung der Stadtwälder erst im 16. Jh. ist vergleichsweise spät. Dass einerseits Männer wesentlich häufiger straffällig wurden als Frauen und die Delikte sich andererseits geschlechtsspezifisch unterscheiden, bestätigt sich auch in Duderstadt. Bei den Zahlungsmodalitäten überwogen lange Fristen und Teilzahlungen, auch wurde bei der Einziehung auf mögliche Armut geachtet, während die Höhe der Strafe sich bei vergleichbaren Vergehen fast immer auf die gleiche Summe belief; neben Geld- verhängte das Gericht auch Naturalstrafen. Die Zahlungsmoral der Ratsherren wertet die Verfasserin als besonders schlecht (S. 153 f.).
Es handelt sich um eine lesenswerte Studie zu Vergehen in einer frühneuzeitlichen kleinen Mittelstadt, die deutliche Unterschiede zu vergleichbaren Untersuchungen zu größeren Städten aufzeigt, verstärkt nochmals durch die agrarisch geprägte Wirtschaftsstruktur.
Bernd Fuhrmann