Rezension
KNA – Ökumenischer Informationsdienst 14–15 (03.04.2012)
Die Konkordienformel, die im Jahr 1577 vollendet und 1580, zum 50-jährigen Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses, als Abschluss des Konkordienbuches, der Sammlung der maßgeblichen Bekenntnisschriften der lutherischen Kirchen veröffentlicht wurde, gehört wohl zu den unbekannteren lutherischen Bekenntnisschriften. Wenn sie in neueren Sammlungen und Übersetzungen lutherischer bzw. reformatorischer Bekenntnisse aufgenommen ist, dann meist nur in Auszügen oder in der Wiedergabe der »Epitome«, des zusammenfassenden ersten Teils, nicht aber in der ausführlicheren »Solida Declaratio«. Das liegt sicherlich nicht nur daran, dass sie nicht von allen lutherischen Kirchen anerkannt wird, sondern hängt auch mit der Intensität des Streits zusammen, der nach dem Tod Martin Luthers 1546 um den rechten (lutherischen) Glauben, wie er in der Confessio Augustana festgehalten war, geführt wurde. Die Konkordienformel wollte nach nahezu einem halben Jahrhundert die innerlutherischen Streitigkeiten, die sich in einem kaum sauber aufzulösenden Knäuel von theologischen, politischen und persönlichen Differenzen äußerten, beenden und die bekenntnismäßige Einheit der lutherischen Kirchen sowie untrennbar damit verbunden ihren reichsrechtlichen Schutz nach dem Augsburger Religionsfrieden gewährleisten.
Insofern ist es äußerst verdienstvoll, dass Robert Kolb, emeritierter Professor für Systematische Theologie am Concordia Seminary, St. Louis/USA, nun eine gründliche Einführung in Geschichte und Theologie der Konkordienformel vorlegt, die allerdings ein entsprechendes reformationsgeschichtliches und theologisches Wissen voraussetzt. Kolb, der sich in unzähligen Publikationen mit der lutherischen Konfessionsbildung befasst hat, gehört zur Tradition des sogenannten Konkordienluthertums, für das die ausdrückliche Bindung an das gesamte Konkordienbuch kennzeichnend ist und zu dem in Deutschland die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) gehört. Daher erscheint sein Buch in der Schriftenreihe der Theologischen Hochschule der SELK in Oberursel.
Wie der Göttinger Kirchengeschichtler Thomas Kaufmann in seinem instruktiven Vorwort deutlich macht, versteht Kolb die Entwicklung nach dem Tod Luthers bis zur Konkordienformel vor allem als einen theologischen Vorgang, in dem sich das lutherische Bekenntnis klärt und gewissermaßen zu seiner dogmatischen Vollendung kommt, die darum als maßgebliche Auslegung der Heiligen Schrift für die weitere lutherische Theologie bis heute normativ ist.
Dieser theologische Klärungsprozess wird von Kolb in seinen Einzelheiten intensiv nachgezeichnet. Den Kern des Streites bildet, bei aller notwendigen Differenzierung, der Gegensatz zwischen den sogenannten »Gnesiolutheranern« und den »Philippisten«, in dem sich die unterschiedliche Berufung auf Martin Luther und Philipp Melanchthon widerspiegelt (vgl. 58-65). Folgt man Kolbs Weg durch die intensiven und leider allzu oft auch von persönlichen Abneigungen geprägten Debatten etwa um die Frage nach der Rolle der Gebote im christlichen Leben, um Erbsünde, Erwählung und Rechtfertigung sowie um das Verständnis von Abendmahl und Christologie, dann kann man auf der einen Seite nur darüber staunen, wie sehr diese theologischen Streitigkeiten die öffentliche Diskussion bestimmt haben. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, worauf Kolb vor allem am Ende eingeht, dass diese Streitigkeiten immer auch eine politische Dimension hatten. Den entsprechenden Rechtsschutz hatte man nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 nur, wenn man nachweisen konnte, dass die eigene Lehre dem Augsburger Bekenntnis entsprach, was etwa den Widerstand der calvinistischen Seite gegen die Konkordienformel erklärt (vgl. 177). Die Bedeutung der Landesfürsten darf man darum nicht unterschätzen (vgl. 146-151), von denen manche Parteien schließlich als einzigen eine Überwindung der Streitigkeiten und Einigkeit erwarteten (vgl. 158).
Auf der anderen Seite sind manche Streitigkeiten aus heutiger Perspektive nur noch schwer nachzuvollziehen. Zudem stellt sich bei der Entstehung der Konkordienformel die bis heute für die Ökumene herausfordernde Frage, wie viel Gemeinsamkeit sein muss und wie viel theologische Vielfalt sein darf, wenn man in den entscheidenden Grundaussagen und Grundanliegen übereinstimmt. Diese Frage kann man wohl nur multilateral lösen, was entsprechende Folgerungen für die Auslegung der Bekenntnisse in der gegenwärtigen Situation zur Folge haben muss. Denn im Unterschied zur damaligen Zeit ist die Theologie heute nicht mehr von der Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Endes der Welt geprägt, wie das im 16. Jahrhundert der Fall war, und sicherlich ist die Polemik nicht mehr in gleicher Weise eine legitime theologische Methode wie in den damaligen Streitigkeiten (vgl. 28-30).
Auch darum wird man Kolb nicht in allem folgen können. Wenn er in Luthers Kreuzestheologie sowie in der Unterscheidung von aktiver und passiver Gerechtigkeit und von Gesetz und Evangelium den »radikale[n] Paradigmenwechsel für die abendländische Christenheit« (32) sieht, dann hätte man das gern näher begründet und erläutert. Seine Ablehnung der orthodoxen Theosis-Lehre sowie damit verbunden der Lutherinterpretation der finnischen Schule (vgl. 99, Anm. 3) leugnet Brücken, die andere im ökumenischen Dialog m.E. zu Recht wahrgenommen und begangen haben. Da Kolb das Zustandekommen der Konkordienformel wohl als bis heute ökumenisch maßgebend ansieht, wäre es interessant gewesen, wenn er das über einige sporadische Bemerkungen hinaus am Ende noch etwas ausführlicher dargestellt hätte. So gilt, was Kaufmann am Ende seines Vorworts schreibt: »Kolbs Sicht der Dinge ist kohärent, niveauvoll und anregend; alternativlos ist sie nicht« (12).
Burkhard Neumann