Rezension
EmK Geschichte 32 (2011) Heft 1
Man nennt den Dialog zwischen der Römisch-katholischen Kirche gerne das Aschenputtel unter den bilateralen Gesprächen. Dieser Dialog findet seit mehr als 40 Jahren in bemerkenswerter Kontinuität statt und hat regelmäßig im Fünfjahresturnus teilweise sehr beachtliche Studien zu ökumenischen Themen vorgelegt. Dennoch finden seine Ergebnisse in der allgemeinen ökumenischen Diskussion wenig Beachtung. Das gilt freilich nicht nur für die anderen Konfessionsfamilien. Auch auf methodistischer und katholischer Seite werden diese Studien selten zitiert, obwohl sie einige sehr bemerkenswerte Ansätze für weitere gemeinsame theologische Arbeit aufweisen. Der Aufsatzband, den Christoph Raedel herausgegeben hat, versucht nun dankenswerterweise, zumindest für das theologische Gespräch in Deutschland diesen Dialog aus seinem Aschenputteldasein herauszuholen. Der Titel des Werkes lehnt sich an den Inhalt des letzten Berichts der Dialogkommission von 2006 (Seoul-Bericht) an, in dem es um den »Austausch der Gaben« geht.
Der erste und umfangreichste Beitrag stammt von Raedel selbst und bietet eine sorgfältige Darstellung und kritische Analyse der Dokumente des vierzigjährigen Dialogs. In seiner abschließenden »Würdigung und Kritik« (47ff) weist R. zu Recht auf eine gewisse Asymmetrie der Dialoge mit der katholischen Kirche hin: Angesichts der »hochprofilierten Ekklesiologie« der katholischen Kirche entsteht auf evangelischer Seite nicht selten der Eindruck eines zu behebende Defizits, auch wenn dieser Eindruck im Lauf des methodistisch-katholischen Dialogs nach Meinung von R. abnimmt (49). Fünf Leitsätze bündelt das Fazit, das R. zieht. Angesichts des Zieles »voller Kirchengemeinschaft« rät er, noch genauer zu klären, »welches Maß an Übereinstimmung in Lehre und Ordnung der Kirchen notwendig ist«, um dieses Ziel zu erreichen, damit gewährleistet ist, dass die angestrebte Gemeinschaft auch »Raum lässt für den Reichtum der Traditionen« und »auch erkennbar unterschiedliche Akzente zulässt« (51).
Der Beitrag von Johannes Oeldemann stellt das Pendant zu dem Raedels dar und bietet einen Überblick über den Dialog aus katholischer Sicht. Er konzentriert sich allerdings in der Analyse auf die Themen »Quellen des Glaubens«, Sakramentsverständnis und praktische Vorschläge, was vor allen den Seoul-Bericht berührt. Dessen Hinwendung zu einem »Austausch der Gaben« wird auch in seiner abschließenden Zwischenbilanz besonders gewürdigt. Denn dabei geht es nicht mehr um die Überwindung von Differenzen, sondern um den Blick auf die Gemeinsamkeiten, der Fokus ist nicht auf die Schwächen des anderen, sondern auf die Stärken ausgerichtet (82).
In seinem Artikel »Die Dynamik von Dialogen« schneidet Geoffrey Wainwright, der langjährige methodistische Vorsitzende der Dialogkommission, eine Fülle grundsätzlicher Fragen solcher Gespräche an, warnt aber auch vor einer allzu großen Ungeduld auf evangelischer Seite im Blick auf eucharistischen Gastfreundschaft und widmet sich dann sehr ausführlich dem Paradigmenwechsel, der sich durch die Methodik eines »Austauschs der Gaben« ergibt. Einige seiner Beispiele zeigen aber auch die Problematik dieses Vorgehens. So schreibt er, die Methodisten könnten sich von den Katholiken beschenken lassen »mit einer lebendigeren Freude an der ›Gemeinschaft der Heiligen‹ (vielleicht sogar besiegelt dadurch, dass wir uns in der Lage sehen zu beten: ›Sancti Ioannes et Carole, orate pro nobis‹)« (101). Dass die Methodisten auch einige Namen von Christen, die vorbildlich gelebt haben, für einen gemeinsamen Heiligenkalender zur Verfügung stellen und sich dafür mit dem immer noch äußerst problematischen römisch-katholischen Verständnis von Heiligen »beschenken« lassen, kann kaum eine erstrebenswerte Lösung sein!
Die beiden Aufsätze von Manfred Marquardt und Burkhard Neumann bilden noch einmal ein methodistisch-katholisches »Doppel«, diesmal zum Thema: »Einig in Sachen Rechtfertigung«. Beide stellen je aus ihrer Sicht den Inhalt der methodistischen Stellungnahme zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre dar und bewerten sie ohne Einschränkung positiv. Während Marquardt dabei stärker die theologische Bedeutung dieses Schrittes herausarbeitet und auf notwendige Konsequenzen im Verhältnis der unterzeichnenden Kirchen hinweist, zeigt Neumann dessen Bedeutung für den ökumenischen Dialog auf.
Einen besonderen Akzent bringt der letzte Beitrag von Thomas Gerold, Überlegungen und Anregungen zum gelebten ökumenischen Miteinander, ein. Er beleuchtet die im Dialog aufgegriffenen Fragen aus der Perspektive der praktischen Zusammenarbeit auf Gemeindeebene (vor allem in der Schweiz), steuert aber darüber hinaus auch einige bemerkenswerte Beobachtungen aus der Sicht von Katholiken und Methodisten bei. Nur eine Kostprobe, die mir besonders erhellend erscheint: »So ist es für ... Katholiken schwer verständlich, dass es eine Evangelisch-methodistische Kirche gibt, die mit zahlreichen anderen evangelischen Kirchen in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verbunden ist, aber zugleich nicht mit diesen Kirchen fusioniert und auch kein gemeinsames Kirchenoberhaupt hat« (144f).
Den Schluss, allerdings mit mehr als einem Drittel des Umfangs des Bandes bildet die deutsche Übersetzung des Seoul Berichts: The Grace Given You in Christ unter dem Titel: Die Gnade, die euch in Christus gegeben ist. Soweit ich das durch Stichproben überprüft habe, ist die Übersetzung korrekt, auch wenn man bei solchen Unternehmungen immer über Nuancen diskutieren kann. Das Dokument besteht aus vier Teilen: I. Gegenseitige Neubewertung zeichnet die Geschichte der Begegnung zwischen beiden Seiten und der in neuerer Zeit gewachsenen gegenseitigen Wertschätzung. II. Gemeinsam in Christus entwickelt eine trinitarisch begründete Ekklesiologie unter vielfacher Verwendung von Strophen auch Liedern von Charles Wesley.
In III, Vertiefung und Erweiterung unserer gegenseitigen Anerkennung sagen Methodisten und Katholiken einander, was sie am Kirche sein der anderen schätzen und anerkennen und was sie den anderen gerne schenken und wünschen möchten. Hier tritt die Asymmetrie deutlich zu tage. Methodisten aner-kennen die Römisch-katholische Kirche als »eine wahre Kirche« (§ 107) und »das Kollegium der Bischöfe und die historische Sukzession der Bischöfe in der Römisch-katholischen Kirche als ein Zeichen ... der Einheit der Kirche in Rom und Zeit« (§ 112), ja sie können sich vorstellen, »einen Petrusdienst als Dienst an der Einheit« wertzuschätzen (§ 113). Sie laden dann freilich die Katholiken ein, für die Mitarbeit von Laien offener zu sein und eine größere Vielfalt der Arbeitsweisen zuzulassen. Katholiken dagegen anerkennen, »dass methodistische Kirchen von Bedeutung und Wichtigkeit im Geheimnis der Erlösung sind«, und »gestehen ihnen zu, dass der Geist Christi sie gebraucht hat und weiterhin gebraucht als Mittel des Heils, wobei sich ihre Wirksamkeit aus der Fülle der Gnade und Wahrheit ableitet, die nach katholischer Auffassung der Katholischen Kirche anvertraut worden ist« (§ 121 Hervorhebung W.K.) So verwundert es nicht, dass neben einer großen Wertschätzung methodistischen Spiritualität und missionarischen Engagements sich die katholischen Seite wünscht, den Methodisten die »ausgearbeitete Ekklesiologie der Katholischen Kirche« weiterzugeben, insbesondere Leitung durch das Bischofskollegium und den Petrusdienst, das Priesteramt und den Opfercharakter der Eucharistie und die Gabe des unfehlbaren Lehrens. Allerdings wird dann gemeinsam klar gestellt, in welchen Bereichen Katholiken und Methodisten »sehr unterschiedlicher Meinung« sind: 1) Mitwirken der Laien beim autoritativen Lehren, 2) der sakramentale Charakter der Ordination, 3) Bischofsamt in apostolischer Sukzession, 4) die Möglichkeit unfehlbaren Lehren und 5) Ort und Funktion des Petrusdienstes (§136). Wo aber aufgezählt wird, welche Vorteile eine »Versöhnung« beider Traditionen für beide Seiten haben könnte, wird freilich wieder im Rahmen katholischer Kategorien formuliert, so z.B. wenn gesagt wird, dass wir »die Freude am inspirierenden Beispiel unserer Heiligen teilen« oder die Methodisten »die apostolische Sukzession der Bischöfe« als »fundamentales Zeichen der Apostolizität von Katholiken empfangen« könnten (§ 137). Hier scheint das methodistische Verständnis von Heiligung und Apostolizität ausgeblendet. Und hier zeigt sich auch ein Problem dieser in vieler Hinsicht sehr positiven Methodik: Die Addition von Überzeugungen und Arbeitsweisen mag zwar manchen Vorstellungen von Katholizität entgegen zu kommen, begründet aber noch keine dem Evangelium entsprechende Einheit. Die eine Kirche Jesu Christi ist nicht nur katholisch, sondern auch evangelisch, was nach methodistischem Verständnis gerade durch das Kennzeichen apostolisch festgehalten wird!
Teil IV, Grundsätze und Vorschläge für die Entwicklung der Beziehung zwischen Katholiken und Methodisten, gibt diesem Bericht seine besondere Note: Hier werden klare Adressaten genannt, an die sich der ganze Text und insbesondere seine konkreten Empfehlungen wenden, und hier werden auf der Basis von zwölf Grundsätzen, in denen Übereinstimmung besteht, praktische Vorschläge gemacht, wie schon heute Schritte in Richtung der Verwirklichung der angestrebten »vollen Gemeinschaft in Glaube, sakramentalem Leben und Mission« getan werden können. Diese Vorschläge können hier nicht im Einzelnen diskutiert werden, aber es ist zunächst einfach anzuerkennen, dass die Dialogkommission damit einen ernsthaften und wichtigen Versuch gemacht hat, aus dem Elfenbeinturm der Diskussion ökumenischer Spezialisten auszubrechen und das praktische Miteinander auf allen Ebenen zu fördern. Manche der Vorschläge werden in Deutschland schon gelebt, anderes bedarf der Prüfung und der Erprobung.
Es ist das Verdienst dieses Buches, den Dialog zwischen katholischer Kirche und dem Weltrat methodistischer Kirchen insgesamt in seiner Bedeutung besser bekannt und durch die Übersetzung des Seoul-Berichts das Ergebnis der letzten Phase zugänglich gemacht und zur Diskussion gestellt zu haben. Es ist ihm eine breite Verbreitung zu wünschen.
Walter Klaiber