Rezension
EmK Geschichte 31 (2010) Heft 1/2
Der Titel des Buches verweist auf die methodistische Mission in Hamburg in einem begrenzten zeitlichen Rahmen. Diese Periode beschreibt Karl Heinz Voigt ausführlich und vermittelt ein sehr lebendiges Bild einer wechselhaften und aufregenden Zeit in Hamburg. Die zahlreichen Zitate der Missionare aus Tagebüchern, Zeitschriften und Briefen z.T. in Faksimiledruck in den laufenden Text eingestreut, machen die Darstellung nicht nur lebendig, sondern lassen den Leser direkt mit den Betroffenen in Kontakt treten.
In den 50 Jahren, die in dem Buch beschrieben werden, waren 20 Prediger in Hamburg tätig. Sie blieben zwischen einem und fünf Jahre in Hamburg. Jeder führte die Arbeit des Vorgängers weiter und setzte auch eigene Akzente. Es war die Mission einer Kirche, der sie dienten. Hier wird sichtbar, dass es nicht vorrangig um Gemeindegründungen ging, sondern darum, Menschen, die ohne Glauben lebten, zum Glauben zu rufen. Karl Heinz Voigt: »Ihr geistliches Ziel war die Gewinnung von Menschen ohne Glauben für ein Leben aus dem Glauben«. Die ersten methodistischen Prediger als Missionare waren deutsche Rückwanderer, die in Amerika ihre geistliche Heimat in der Methodist Episcopal Church gefunden und als Verkündiger des Evangeliums eine neue Lebensaufgabe erhalten hatten. Ihre Erfahrungen als reitende Missionare in Amerika haben sie in die Großstadt Hamburg mitgebracht. Mobil und flexibel auf unerwartete Situationen zu reagieren, das hatten sie gelernt, und das kam ihnen auch in Hamburg zugute. Karl Heinz Voigt zeichnet an Hand von Quellen die kirchliche und gesellschaftliche Situation in Hamburg. Als freie Hansestadt stand sie nicht unter dem politischen Einfluss eines Herrscherhauses. Das hatte Auswirkungen auf das Leben der Staatskirche, aber auch der staatsfreien Kirchen. Die internationalen Beziehungen der Hafenstadt haben gegenüber Minderheiten und anderen kirchlichen Gruppen zu mehr Toleranz geführt. Voigt nennt acht Ereignisse, die Hamburg im 19. Jahrhundert tiefgehend beeinflusst haben, darunter der große Brand von 1842 mit Langzeitwirkung, die 1848er Revolution, die Typhus- und Choleraepidemie 1892 und der Hafenarbeiterstreik von 1896/97. Die methodis¬tischen Prediger begegneten unmittelbar den notvollen Auswirkungen dieser Ereignisse im Leben der einfachen Menschen. Aber die Stadt brauchte neue Menschen und so gab es regen Zuzug, vor allem aus dem dörflichen Umfeld. Auch die lutherische Kirche in Hamburg wuchs rasch, aber gleichzeitig nahm die Kirchlichkeit rapide ab. Voigt nimmt an, dass die »Frömmigkeit (der Zuwanderer) nicht stark genug ausgebildet war, um ein tragendes Element bei der Bewältigung der Probleme zur Zeit ihrer Einstädterung zu sein«. Die Anfänge der methodistischen Mission waren schwierig. Es war nicht leicht, Fuß zu fassen und Menschen für das Evangelium und ein Leben aus dem Glauben zu gewinnen. Voigt: »Die Großstadtmentalität in einem insgesamt kirchenkritischen Milieu prägte die Arbeit in Hamburg entscheidend.«
Eine grundlegende Veränderung trat ein, als 1878 die erste Diakonisse nach Hamburg kam. Gemeinde und Diakonie lebten unter einem Dach und verstanden sich auch als Einheit. Voigt: »Kirche war Diakonie und Diakonie war Kirche in organischer und organisatorischer Einheit.« Der Dienst der Diakonissen öffnete Herzen und Häuser, die sonst nie erreicht worden wären. Die Diakonissen haben sich nicht nur in der Hauskrankenpflege bewährt, sondern besonders in der Zeit der Typhus- und Choleraepidemie in Hamburg. Das nahm auch die Stadtregierung wahr und hat die aufopfernde Tätigkeit der Diakonissen offiziell gewürdigt. Diese positive Wahrnehmung seitens der Stadtregierung hat sich auch positiv für die kirchliche Arbeit ausgewirkt. Hier möchte ich noch festhalten, dass Voigt auch die Missionsarbeit der Evangelischen Gemeinschaft in Hamburg in zwei Kapiteln beschreibt. Die Arbeit der Evangelischen Gemeinschaft hat als »Dorfmission« (Paul Wüthrich) in Württemberg begonnen. Sie beginnt 1874 die Arbeit im Industriezentrum Essen und startet eine neue Arbeit in der Großstadt Hamburg 1887. Es vollzieht sich eine ähnliche Entwicklung wie die der methodistischen Mission. Prediger beginnen die missionarische Tätigkeit und dann kommen Diakonissen aus Elberfeld. Die ersten Diakonissen kamen 1888 nach Hamburg.
Karl Heinz Voigt lässt den Leser teilnehmen an den schwierigen und entbehrungsreichen Jahren der methodistischen Missionare und der Diakonissen in Hamburg. Die Darstellung berührt einen persönlich. Die Mission in der Großstadt Hamburg sammelt Erfahrungen, die für jede Großstadt gelten. Unter diesem Gesichtspunkt bleiben die im Ausgang des 19. Jahrhunderts gemachten Erfahrungen interessant und aktuell. Aber die zentrale Frage, die das Buch stellt, ist keine historische allein, es ist die grundsätzliche Frage nach dem Verständnis von Mission. Dabei geht es nicht nur um historische Genauigkeit. Im Leben und Wirken der methodistischen Missionare, meint Voigt, komme aber sehr deutlich das Missionsverständnis der methodistischen Kirche zum Ausdruck. Damit ist auch eine Frage von höchst ökumenischer Bedeutung gestellt. Voigt sieht vier wichtige Aspekte der methodistischen Mission: (1) evangelistische Verkündigung, (2) von der Gemeinde ausgehende Diakonie, (3) in der Gemeinde gestaltete Gemeinschaft und (4) eine die Gemeinde geistlich motivierende Führerschaft. Dahinter steht die grundsätzliche Überzeugung, dass es darum geht, die gottlose Welt mit dem Evangelium zu erreichen und nicht andere Kirchen ins Unrecht setzen zu wollen. Jede andere Kirche wird mit Respekt behandelt. Das damit verbundene Angebot einer missionarischen Partnerschaft ist im 19. Jahrhundert von den Staatskirchen nicht gesehen worden. Gefangen in kirchlichem Besitz- und Machtdenken wurden die methodistischen Missionare als Eindringlinge angesehen und auch so behandelt. Voigt hat nicht nur in diesem Buch, sondern auch in anderen Publikationen die irritierende und beschämende Beziehung zwischen der methodistischen Kirche und den jeweiligen Staats- und Landeskirchen in Deutschland detailliert beschrieben. Voigt hat durch seine historischen Studien entscheidend mitgeholfen, die gemeinsame belastete Vergangenheit zu erhellen und Möglichkeiten für eine neue Beziehung zu öffnen. Hier hat sich ja inzwischen auch viel zum Guten verändert. Voigt stellt aber auch kritische Fragen an die eigene Kirche. Wie weit hat sie sich von ihrer Tradition, missionarische Kirche zu sein, entfernt? Hat sie nicht zu stark landeskirchliche bzw. kongregationalistische Konzepte von Kirchesein übernommen und den Auftrag, die Welt als Ort der Mission zu sehen, vergessen? Und: Ist es ihr gelungen, ihr ureigenes Verständnis von Mission sachgerecht und überzeugend in das ökumenische Gespräch einzubringen? Ich wünsche dem Buch viele Leser und hoffe, dass die Geschichte der Mission in Hamburg nicht nur erbaulich wirkt, sondern vielleicht Initiativen anregt, sich der grundlegenden Frage nach dem methodistischen Verständnis von Mission im ökumenischen Kontext zu stellen.
Helmut Nausner