Rezension
Bibel und Kirche 1/2012
Frank Eibisch schreibt ein facettenreiches und immer wieder spannendes Buch mit einer gut ausgearbeiteten, allerdings nicht immer ganz durchgehaltenen Methodik. Das ganze Buch dreht sich um die Frage nach einem angemessenen heutigen Verständnis der Wundergeschichten überhaupt, wozu er exemplarisch am Beispiel der Wundergeschichten des Markus einen Beitrag leisten möchte. Dabei geht es ihm einerseits darum, einen adäquaten und erfahrbaren Zugang für die Menschen von heute und ihrem Verständnishorizont zu schaffen, andererseits darum, den biblischen Texten und ihrer Intention gerecht zu werden, also nicht gleich unser heutiges »aufgeklärtes« Verständnis über die Texte zu stülpen und an ihrer eigentlichen Botschaft von Heilung vorbeizugehen. Es geht ihm um die Frage, ob die Heilungsgeschichten mit ihrer eigenen »Wahrnehmung von Wirklichkeit sich mit der unseren in einer Weise verbinden lässt, dass sie in unser Leben hineinzusprechen beginnen und nicht wir ihnen einreden, wie sie denn angemessen zu verstehen seien.« (25)
Nach der kurz und einfach gehaltenen Einleitung legt er seine hermeneutischen Zugänge dar, indem er zuerst ausgewählte hermeneutische Ansätze zu Wundererzählungen vorstellt (Rudolf Bultmann, Gerd Theißen, Eugen Drewermann) und dann versucht die Heilungsgeschichten als paradigmatische Sprachereignisse zu fassen. (14-38) Er wendet sich dazu zuerst dem Begriff des Sprachereignisses und damit der ausgesprochenen Wirklichkeit zu, wie diese Wirklichkeit Wahrheit abbildet und von uns wahrgenommen werden kann. Dabei sieht er gerade in der Fremdheit der Erzählungen die Chance sie selbst sprechen zu lassen. Daraufhin geht er auf die hermeneutische Absicht des Evangelisten Markus ein, um dann als Begriff für diese hermeneutische Absicht den Begriff des Paradigmas zu wählen, das er als beispielhafte Veranschaulichung versteht. »Paradigmatische Erzählungen weisen über sich selbst hinaus und stellen doch zugleich den Gesamtzusammenhang als Einzelerzählung in nuce dar. Sie sind Sprachereignisse, die auf Geschehnisse verweisen, in denen eine größere Wirklichkeit beispielhaft verdeutlicht wird und bringen somit beides zugleich – Einzelereignis sowie Gesamtereignis – zur Sprache. Ihre hermeneutische Intention besteht darin, am Konkreten auf allgemein Gültiges hinzuweisen. « (35)
Im nächsten Kapitel macht er einige, allerdings eher kurz gehaltene Bemerkungen zu einer Auswahl an Heilungsgeschichten aus dem Markusevangelium und sieht die paradigmatische g als ein verbindendes Motiv in diesen Erzählungen. (39-69) Eibisch unterstreicht paradigmatischen Erzählung mehrere Funktionen zu: eine induktive Funktion (es wird vom beschriebenen Einzelfall auf das Allgemeine geschlossen), eine illustrative (veranschaulichende) Funktion und eine paränetische Funktion (die Geschichten haben auch Konsequenzen für die Gemeinde und zeigen der Gemeinde beispielhaft, wie sie Krankheit zu interpretieren bzw. mit ihr umzugehen hat). (70-77) Danach bringt er seine Ergebnisse wieder mit den oben genannten Ansätzen von Bultmann, Theißen und Drewermann ins Gespräch und versucht in einem letzten hermeneutischen Teil Konsequenzen aus seiner Arbeit abzuleiten. (77-103) Mit einem Rückgriff auf Gadamer lässt Eibisch dabei die beiden Verständnisebenen von heutigen Lesern einerseits und dem biblischen Text andererseits in seiner Eigenart bestehen. Im Zugehen und verstehen wollen der Wahrheit des biblischen Textes kommt es seiner Meinung nach zu einer Horizontverschmelzung, die etwas Neues, also eine Horizonterweiterung des Lesenden entstehen lässt. Der Text muss nach Eibisch aber immer einen befremdlichen Charakter beihalten – nicht nur wegen dem kulturellen und historischen Abstand, sondern auch aus theologischen Gründen: Die Texte erzählen ja exemplarisch vom heilenden Handeln Jesu und damit vom Einbruch einer fremden, göttlichen Wirklichkeit in den Alltag der Menschen. In dem Kontext geht es Eibisch weniger um die Realität jedes einzelnen Wunders, deren Möglichkeit er nicht bestreitet, sondern um die Wahrheit, die der Evangelist Markus verkündigen will und auch in seinen Heilungserzählungen exemplarisch auszudrücken versucht: Jesus ist der Sohn Gottes. »Für denjenigen, der sich dem Kausalitätsverdikt der Moderne verschrieben hat, bleibt dies eine befremdliche Zumutung.« (90)
Im letzten Teil des Buches geht Eibisch über diesen hermeneutischen Ansatz hinaus und versucht die Bedeutung der markinischen Wundergeschichten bzw. die Ergebnisse seiner Studie für die diakonische Praxis deutlich zu machen. Hier geht er einerseits auf das Gesundheitswesen, aber auch auf die gelebte Praxis in den christlichen Gemeinden ein. (104-122) Gerade das Fernhalten der Theodizeeproblematik machen die praktischen Beobachtungen hilfreich und menschlich. Eibisch schreibt über die Offenheit gegenüber anderen Heilmethoden, sowie die Bedeutung des Zusammenhanges von Leib und Seele in der medizinischen Behandlung, aber auch die Komplexität der Schuldfrage in diesem Kontext. Dieser ganze Teil ist als Zusatz und Ausblick seines hermeneutischen Ansatzes entworfen, könnte aber durchaus besser gegliedert bzw. auf den Punkt gebracht werden. Abschließend beschreibt er noch kurz das methodistische Verständnis von der Fürsorge für Kranke und bearbeitet so sein eigenes christliches Erbe. (123-133)
Ein auf mich recht befremdlich wirkender kurzer Epilog, der aus eigenen Erfahrungen bei der Arbeit im Krankenhaus besteht, sowie ein Personen-, Sach- und Bibelstellenregister schließen das Buch ab. Zusammenfassend ist das Buch eine anregende Lektüre, die mehrere Fachbereiche miteinander ins Gespräch bringt. Die philosophischen Annahmen werden gut erklärt und dieFußnoten laden zum Weiterdenken ein. So prägnant jedoch die hermeneutische Methodik am Anfang vorgestellt wird, so überrascht ist man von der zunehmenden Nachlässigkeit ihrer strengen Anwendung, was der Lesbarkeit nicht schadet, der Begrifflichkeit des paradigmatischen Sprachereignisses allerdings etwas von der angestrebten Überzeugungskraft nimmt. Für die Weiterführung einer Diplomarbeit ein ansehnliches und gut aufgebautes Werk – für pastoraltheologisch Interessierte wohl eher zu empfehlen, als für Menschen, die Informationen und Hintergründe über die markinischen Heilungserzählungen suchen.
Gertraud Harb