Rezension
Lutherische Beiträge, 16. Jahrgang (2011) Nr. 3
Diese Quellensammlung ist ein verdienstvolles äußerst wichtiges Nachschlagewerk nicht nur für wissenschaftliche Zwecke.1 Man fragt sich jedoch gleich, ob der unglückliche ständige Wechsel der Rechtschreibvarianten »selbstständige« und historisch richtig »selbständige« (s. Einband, Titelseite, Impressum, Vorwort, Einleitung usw.) nötig war. Es versteht sich als zweite erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage des 594-seitigen, 1987 von Manfred Roensch und Werner Klän herausgegebenen Bandes »Quellen zur Entstehung und Entwicklung selbständiger evangelisch-lutherischer Kirchen in Deutschland« (22). 270 Dokumente werden – ganz oder auszugsweise in XIII Bereiche aufgeteilt – vorgelegt. Welche Auswahlkriterien jeweils vorgelegen haben, wird allerdings nicht deutlich, auch nicht immer für die Kürzungen; so wird man bei Spezialfragen weiter nach den Originalquellen zu suchen haben. Nur zwei Beispiele: Die Einigungssätze zwischen der Evangelisch-lutherischen Kirche Altpreußens und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche von 1947 werden im Auszug nicht in der für später so wichtigen »Vollausgabe« abgedruckt (612–617) und die Grundordnung der SELK nur in der Antragsform von 1971, nicht aber (auch) in der heute noch gültigen Form, was anmerkungsweise möglich gewesen wäre und nicht zu Irritationen führen würde. Bei einer erneuten Auflage sollten auch die 47 historischen Abbildungen z.T. größer, auf jeden Fall aber fachgerechter und sorgfältiger beim Layout eingearbeitet werden.
Im Teil I (25–119), Die Evangelisch-lutherische (altlutherische) Kirche, sind 35 Quellen abgedruckt beginnend mit der Kabinettsordre Friedrich Wilhelm III. vom 27.9.1817 bis zum Hirtenwort des Oberkirchenkollegiums zur Aufhebung der Kirchengemeinschaft durch die Evangelisch-Lutherische Freikirche 1984 mit einer Einführung von Gilberto da Silva (25 –32), die in einem kirchengeschichtlichen Überblick alle Dokumente verbindet.
Teil II (120–146) bringt nach Einführung von Werner Klän zur Evangelisch-lutherischen Immanuelsynode 14 Dokumente zum unseligen Riss bei den Altlutheranern von 1861–1904 von der Lossagung Julius Diedrichs vom Kirchenregiment des Oberkirchenkollegiums bis hin zu – allerdings unter Nr. 221 (570f – Gemeinsame Bekanntmachung über die Wiedervereinigung der Evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen und der Evangelisch-lutherischen Immanuelsynode.
Für Teil III (147–184), die Evangelisch-lutherische Kirche in Baden hat Frank Martin Brunn die Einführung geschrieben. Die 19 Dokumente (Nr. 50– 68) beginnen mit der Erklärung Carl Eichhorns über seinen Austritt aus der Union und seinen Übertritt zur lutherischen Kirche vom 3.11.1850 bis hin zur heutigen Kirchenordnung der Evangelisch-lutherischen Kirche in Baden in der Fassung aus dem Jahr 2001.
Die Einführung in Teil IV (184– 306) über die Evangelisch-Lutherische Freikirche (in Sachsen und anderen Staaten) hat Gottfried Hermann aus Zwickau verfasst. Der Quellenteil zählt 37 Schriftstücke (Nr. 69–105) auf, beginnend mit Friedrich Brunns Korrespondenzen (Adolf von Harleß, Wilhelm Löhe) aus dem Jahr 1846 über den Synodalbeschluss der Evangelisch-Lutherischen Freikirche vom 7.10.1989 in Karl-Marx-Stadt, betr. die Aufhebung der Kirchengemeinschaft mit der SELK (Nr. 101) bis hin zur heutigen Verfassung der Evangelisch-lutherischen Freikirche (Nr. 105) aus dem Jahre 2006.
Im Teil V (307–338), die Renitente Kirche umgeänderter Augsburger Konfession, gibt es 15 Dokumente (Nr. 106 –120). Sie beginnen mit den Thesen August Christian Vilmars über die Kirche, ihr Wesen, ihre Regierung und Verfassung aus dem Jahr 1861 und enden mit der Lossagung des Homberger Konvents von den mauritianischen Verbesserungspunkten und der Deklaration der hessischen Generalsynode von 1607, vom 19.9.1877. Wieder gibt hier Gilberto da Silva, wie mir scheint, eine gute und kurze Einführung.
Das tut er auch für Teil VI (339–342), die andere hessische Kirche, die Selbständige evangelisch-lutherische Kirche in den hessischen Landen. Die hier wiedergegebenen Dokumente (Nr. 121–125) beginnen mit der Amtsenthebung des Pfarrers Ferdinand Bingmann zu Höchst an der Nidda vom 14.6.1875 (Nr. 121). Abgeschlossen wird dieser Teil durch die bemerkenswerte gottesdienstliche »Ordnung der Wahl und Weihe eines Superintendenten« (nach 1945).
Als letzte der ehemaligen Teilkirchen sind in Teil VII die Hannoverschen evangelisch-lutherischen Freikirchen zusammengefasst (363–397) mit 9 Dokumenten (Nr. 126 –134) mit einer Einführung von Andrea Grünhagen (S. 363–370). Dann folgen »Kirchliche Werke«.
Unter VIII (398–477) die Mission mit einer Einführung von Volker Stolle und einer Anzahl von gleich 47 Quellen (Nr. 135 –181). Ein Schwergewicht unter ihnen bilden die Altlutheraner mit der Leipziger Mission (Nr. 135 –154), ein zweites die Hermannsburger Mission bis hin zur Bildung der Bleckmarer Mission, der heutigen Lutherischen Kirchenmission. Eigentlich noch dazugehören Teil IX Verhältnis Kirche und Judentum (478–506) mit weiteren 16 Dokumenten (Nr. 182–197). Unter diesen allen findet man beispielsweise Stellungnahmen zum »Arierparagraf« (Nr. 191) und zur südafrikanischen Apartheidpolitik von der Missionsleitung und der Theologischen Kommission (Nr. 173–175).
Teil X (507–529) bringt mit einer Einführung von Stefan Süß zur Diakonie acht »teilweise durch die geschichtliche Entwicklung überholt(e)« Dokumente (Nr. 189–205). In der Aufzählung und Zuordnung vermisse ich völlig das Diakonissenwerk Korbach. Die Quellen stammen merkwürdigerweise alle aus den Jahren 1991–2007 obwohl es doch schon diakonische Einrichtungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt. Analog dem Teil VIII (Mission) würde es sich nahe legen, künftig hier das Quellenmaterial entsprechend anreichernd zu erschließen.
Ausbildungsstätten ist Teil XI (530–557) betitelt mit einer Einführung von Gilberto da Silva und zwölf Dokumenten (Nr. 206– 217) von 1864 (Breslau) bis 2007 (Statut der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel). Die Auswahl der Quellen erscheint sehr Institutionsbezogen, denn es fehlen Quellen zum Thema Studium und Examina, auch wenn diese stark in ständigen Änderungsprozessen stecken.
Im Teil XII (558–664) betitelt »Vereinbarungen, Zusammenschlüsse, Vereinigungen« wird mit 37 Dokumenten (Nr. 218 –245) und einer Einführung von Werner Klän in einem Abriss versucht, den sicherlich oft mühsamen Weg der freikirchlich verfassten lutherischen Kirchen in Deutschland zueinander bis zur Konstitution der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche nachzuzeichnen und zu ergänzen bis hin zu Vereinbarung mit Partnerkirchen und der Konstitution des International Lutheran Council (ILC).
Schließlich ist der letzte Teil (665–715) mit Oecumenica und 16 Quellen (Nr. 255–270) mit einer Einführung von Werner Klän zu nennen. Abgesehen von einem Dokument von 1969 zum Abschluss der Einigungsverhandlungen, die zur SELK führten, sind es Quellen, die erst ab 2002 einsetzen mit der Charta Oecumenica (Nr. 266), also ausschließlich neuerer Natur, was sicherlich einen neuen Trend der SELK anzeigt, der allerdings in den eigenen Reihen auch nicht unumstritten ist. Nichtsdestoweniger sind auch diese Quellen für die weiteren Diskussionen nötig.
Zusammenfassend ist nach wie vor trotz einiger aufgezeigter Mängel dieses »Quellenlesebuch« von großer, nicht zu unterschätzender Bedeutung und es drängt, wie angedeutet, nach noch weiterer Komplettierung. Das Buch sollte in keiner Pfarr- und Gemeindebibliothek der SELK fehlen.
Johannes Junker
1 Ein Wortvergleich zwischen Abdruck und Originalquelle über nur zwei beliebige Druckseiten hinweg ergab jedoch auf jeder Seite mindestens zwei Varianten, wenn auch nicht sinnentstellender Art. Da dies schlimmstenfalls für das ganze Buch gelten könnte, bedeutet dies immerhin, dass bei wissenschaftlicher Nutzung dieses Werkes zusätzlich die Originalquellen abgeglichen werden müssten. Zugleich gibt das Aufgaben für spätere Neuauflagen!
2 Diese Bezeichnung lässt auch Vereinbarungen zu, die ganz andersartiger Natur sind, also nicht letztlich das Ziel einer Kirchenvereinigung haben. Da diese aber hier nicht der Fall ist, sollte eine eindeutigere Überschrift gefunden werden.
3 Z.B. bei »Diakonie«! Sollte nicht auch überlegt werden, ob es einen Teil »Liturgica« geben müsste?