Rezension
Freundesbrief Nr.9/2010
Blick in die Geschichte
Diakonie und Mission - eine unauflösliche Einheit
Eine Lese-Empfehlung
Während unserer Rüstzeit als aktive Diakonissen im April diesen Jahres befassten wir uns mit einem Abschnitt aus der Geschichte unserer Diakonissen-Schwesternschaft. Im Jahr 1886 wurde unsere Gemeinschaft in Wuppertal-Elberfeld gegründet, und bereits 1888 wurden Bethesda-Diakonissen nach Hamburg entsandt. Zu diesem Teil unserer Geschichte lasen wir Abschnitte aus dem Buch »Methodistische Mission in Hamburg (1850-1900). Transatlantische Einwirkungen« von Karl Heinz Voigt, Pastor i. R. unserer Kirche. Der eher nüchtern klingende Titel des Buches lässt nicht vermuten, welch spannender Stoff sich dahinter verbirgt. Wir konnten nachvollziehen, mit welchem Pioniergeist Schwestern in die sozialen Brennpunkte (z. B. auch nach St. Pauli) zogen und mit welch leidenschaftlichem Interesse für die Mitmenschen Diakonie und Mission Glaubenspraxis waren. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt, wenn es um die Linderung materiell, sozialer und seelischer Not ging.
Um Ihnen Lust zum Lesen zu machen , hier einige Auszüge (S. 199 ff):
»Ihre hohe Bereitschaft zum diakonischen Engagement zeigte sich überzeugend in der katastrophalen Notlage, welche die Stadt in der zweiten Hälfte des Jahres 1892 belastete. Ein verheerende Cholera-Epidemie, wie sie in unserem Land kaum je wieder aufgetreten ist, war ausgebrochen. Zu der kleinen Gemeinde mit 34 Kirchengliedern, die am Ende des Jahres erfasstwar, zählten auch die Hamburger Diakonissen. Es war gerade die kleine Schwesternschaft, die alle Hebel in Bewegung setzte, um Kranken zu helfen und Sterbenden beizustehen.
Als im Elberfelder Zentrum die Diakonissen aus den verschiedenen Städten zu einem Einsegnungskurs zusammen waren, erhielten sie die ersten Informationen über die in Hamburg durch die Epidemie ausgebrochene Lage. Der Kursus wurde sofort abgebrochen. Die Diakonissen sahen, es geht um Leben und Tod. Die aus Hamburg in Elberfeld weilenden Schwestern reisten zuerst eilig zurück. Drei Schwestern aus Berlin und die Mehrzahl der Schwestern aus Elberfeld folgten ihnen bald. Andere Diakonissen wurden aus ihrer Erholung telegrafisch zurückgerufen, um »so schnell wie möglich an den Ort des Elends zu reisen« . (...) Als die jungen Schwestern in Hamburg ankamen, erlebten sie ziemlich chaotische Verhältnisse. (...) Eine Meldepflicht für Kranke gab es nicht. Für die Verstorbenen gab es anonyme Massengräber. (...) Die Diakonissen haben da ihre Pflege angeboten, wo sie am dringendsten war. Die Begleitung Sterbender gehörte zu ihrer täglichen Erfahrung. (...) Die Diakonissen, einige von ihnen waren selber zeitweise von der Krankheit erfasst, hatten weder Zeit noch Kraft, Berichte zu schreiben. (...) Die kleine Gemeinde mit ihren ungefähr vierzig Mitgliedern und die 24 Schwestern haben teilweise gemeinsam einen enormen Einsatz geleistet. »Es war dies zwar eine ungemein schwere und aufreibende, aber auch reich gesegnete Missionarbeit«. Worin bestand dieser Segen? Die Statistik der Gemeinde erhöhte sich von 1892 bis 1896 nur von 34 auf 60 Mitglieder. Darunter waren 44 Zuzüge von auswärts. Der Erfolg kann nicht darin bestanden haben, durch den enormen diakonischen Einfluss Mitglieder für die eigene Gemeinde gewonnen zu haben. Aber sie hatten Menschen in den Winkeln, Höfen und Gängen Gutes getan, hatten viele Arme in ihren Kellern und manche Reiche in ihren Palästen besucht, hatten mit Menschen über das Heil, das freiend auf das Leben wirken kann, gesprochen. Damit war es von Anfang umschrieben, was das Ziel der Elberfelder Diakonissen in Hamburg war: Sie wollten Gott in ihrem Nächsten dienen.«
Auch der Wandel ist dokumentiert:
»Als sie (die Diakonissen) Hauspflege in den verschiedenen Stadteilen übten, trafen sie Krethi und Plethi. In den Straßenbahnen oder auf den Alsterdampfern waren sie unterwegs mit den Menschen zu den Menschen. Die Missionsschwestern gingen am weitesten hinaus bis nach St. Pauli und manchmal sogar zu den entlassenen weiblichen Strafgefangenen und Prostituierten. Mit dem Bau eigener Krankenhäuser wurden aus den Missionsschwestern immer stärker Krankenschwestern. Ihr Lebensrhythmus änderte sich von einer gewissen Spontanität zu einer systematischen Betreuungsregelmäßigkeit. (...) Der Rückzug erfolgte aus den nicht immer reinlichen Hütten ins klinische einwandfreie Krankenzimmer. Die Verantwortung war größer geworden, die Welterfahrung kleiner.«
Das Buch gibt fundiert und sehr anschaulich Aufschlüsse über die Anfänge methodistischen Wirkens in Hamburg, schließt aber auch Nicht-Hamburgern interessante Zusammenhänge auf. Die Lektüre dieses Buches fordert förmlich heraus, aus der Geschichte zu lernen.
Schwester Elisabeth Dreckhoff