Rezension
EmK Geschichte 30 (2009), Heft 1-2
Zum 300. Geburtstag von Charles Wesley (1707–1788) erschienen im englischsprachigen Raum zwei neue Biografien: In den USA veröffentlichte der Theologieprofessor John R. Tyson (Houghton College, Houghton, New York) Assist me to proclaim /The Life and Hymns of Charles Wesley, Edition Ruprecht, Göttingen 2007. In England legte der ehemalige Schulleiter der Kingswood School in Bath, Gary Best, eine 400 Seiten umfassende Biografie von Charles Wesley vor.
»Wenn man Charles Wesley aus der historischen, literarischen und theologischen Perspektive in seiner Gesamtheit würdigen will, darf man »nicht nur seinen Kirchenliedtexten Aufmerksamkeit schenken«. (2) Diesen Fehler hat Gary Best nicht gemacht. Es ist ihm gelungen, Charles Wesleys facettenreiches Leben sachkundig und detailliert darzustellen. So lernt der Leser Charles Wesley als liebevollen Ehemann und Vater kennen, als hervorragenden Dichter und Herausgeber von Gesangbüchern, als einen Meister im Briefeschreiben, als Verfasser eines informativen Tagebuchs, als kraftvollen Prediger, als Pfarrer, der Gefangene, Sterbende, Kranke und zum Tode Verurteilte seelsorgerlich begleitet, als eigenständigen Theologen, als kritischen Begleiter und Mitarbeiter seines Bruders John und als anerkannten Führer im frühen Methodismus. Dabei wird die politische und soziale Situation seiner Zeit mit einbezogen, die Charles Wesley wachen Sinnes erlebte und auf die er in seiner Art reagierte. Aber auch die dunklen Seiten seiner Biografie finden Beachtung: sein gescheitertes Amerika-Abenteuer in der neu gegründeten Kolonie Georgia, seine Depressionen, Minderwertigkeitskomplexe, Zweifel und Irrwege.
Best zitiert reichlich aus der Primärliteratur. Das beinhaltet Charles Wesleys Tagebuch, seine Gedichte, Predigten und Briefe, aber auch eine Vielzahl anderer zeitgenössischer Quellen. Daneben benutzt er – wenn auch in geringem Maße – neues Material aus dem Methodist Arcives (3), John Ryland Library, Manchester University, und den Chestnut Foundation Arcives, Wesminster College.
Die Rolle George Whitefields (1714–1770) im frühen Methodismus ist in zahlreichen Publikationen heruntergespielt worden. Best gelingt es, ihm die gebührende Anerkennung zu zollen. Auch die Beziehungen zu seinem älteren Bruder Samuel jun. (1690–1739), zur Gräfin Huntingdon (1707–1791) und John Fletcher (1729–1785) werden sorgfältig herausgearbeitet. Ein Schwerpunkt der streng chronologisch aufgebauten Biografie ist Charles Wesleys streckenweise sehr problematische und mühevolle Zusammenarbeit mit seinem Bruder John.
Neben den vielen positiven Fakten gibt es auch eine Anzahl, die der Ergänzung, Kritik oder Richtigstellung bedürfen:
Abgesehen yon dem Titelbild wurde von den 27 Bildern im Original leider nicht ein einziges übernommen. Das neu erstellte »Literaturverzeichnis der Sekundärliteratur« dagegen ist sehr hilfreich. Schade, dass die wenigen deutschsprachigen Publikationen zum Thema Charles Wesley nicht komplett aufgelistet wurden. So fehlt z. B. von Karl Heinz Voigt der ausführliche Artikel »Charles Wesley« (Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1998, Bd. 13, Sp. 895–914) und von Martin E. Brose Zum Lob befreit/Charles Wesley und das Kirchenlied (Christliches Verlagshaus, Stuttgart 1997), so wie Charles Wesley. Die Predigten (übersetzt und herausgegeben yon Martin E. Brose, Edition Ruprecht, Göttingen 2007). Für den englischsprachigen Raum hätte unbedingt Tysons oben erwähnte neue Charles-Wesley-Biografie ergänzt werden müssen. Unverständlich bleibt, warum Bests »Appendix« (Personen- und Sachregister) auf das Personenregister reduziert wurde. Sehr bedauerlich ist, dass dem Verlag vorliegende Übersetzungen nicht immer berücksichtigt wurden, so dass es nun sowohl bei Texten aus Charles Wesleys Tagebuch wie auch bei Gesangbuchliedern aus dem EM (= offizielles Kürzel für Gesangbuch der Evangelisch- methodistischen Kirche, Stuttgart 2002) verschiedene Fassungen gibt.
Ein bedauerlicher Fehler ist die durchgehende Übersetzung des Wortes »hymn« mit »Lied/Choral«, die auf S. 362 zu der Behauptung fuhrt, Charles Wesley hatte »etwa 5000 Lieddichtungen allein in den letzten 30 Jahren geschrieben.« Die von Best zitierten Charles-Wesley-Texte sind aber nur zum Teil zu Kirchenlied-Texten geworden. Bei den über 9.000 Gedichten hat Charles Wesley in den wenigsten Fällen daran gedacht, einen Kirchenlied- Text zu schreiben. (4)
Hier eine Auflistung im Einzelnen:
S. 16 Das EG 300 hat einen völlig anderen Text von Matthias Jorissen. Hier müsste der Hinweis auf EM 505 stehen, da dort der Ken-Text und die Übersetzung zu finden sind.
S. 40 »Come, though holy God and true« ist nicht die Nr. 1 in Songs for the Poor, sondem Nr. 14 auf S. 46.
S. 76 Das Zitat »Jack war sich seiner Stärke bewusst ... « stammt nicht von Charles, sondern von seinem älteren Bruder Samuel jun.
S. 122 In Zeile .17 muss es »Juli« statt »August« heißen. Siehe Newport, The Sermons of CW, S. 132. ? Das Predigt-Zitat stimmt nicht mit der entsprechenden Stelle in Charles Wesley. Die Predigten, S. 33, überein.
S. 123 Das Predigt-Zitat stimmt nicht mit der entsprechenden Stelle in Charles Wesley/Die Predigten, S. 51, überein.
S.125 Charles Wesley zitiert hier Ps 55, 15. Es ist nicht einfach der »Austausch unter Gleichgesinnten«, sondern wichtig ist, dass er in einer »herzinniglichen Atmosphäre« stattfand.
S. 126 A95 Der Hinweis auf die deutsche Übersetzung von Wesley and the People Called Methodists (John Wesley und der frühe Methodismus, Edition Ruprecht, Göttingen 2007) fehlt.
S. 131 Zeile 6 Dass Böhler gesagt hat: »Wenn ich tausend Zungen hätte, würde ich Christus mit jeder einzelnen loben.« ist eine lang tradierte Legende! A110 Anstatt »Gesangbuch 1« müsste es »EM 1« heißen.
S. 133 A1 Quellenangabe fehlt.
S. 134 A6 Das Zitat ist an dieser Stelle nicht zu finden.
S. 149–150 A6 Das Zitat stammt nicht von Charles Wesley, sondern von John Wesley, S. 161 A108 »EM« statt Gesangbuch
S. 165 A4 Die Quellenangabe ist falsch.
S. 180 Im methodistischen Sprachgebrauch heißt es »Wachnachtgottesdienst« (nicht »Wachtnachen-Gottesdienst«)
S. 188 Das Predigt-Zitat stimmt nicht mit der entsprechenden Stelle in Charles Wesley. Die Predigten, S. 85–99, überein.
S. 197 A3 »in Armagh« (statt »i Armagh«), »Bd. 12, S. 247« (statt »Bd. 12, S. 246«)
S. 213 A41/S. 224 A68 Ein »Deutsches Gesangbuch der BMK, 1888« gibt es nicht. S. 214 Die Übersetzung stimmt nicht mit EM 43 überein.
S. 217 Der nach England ausgewanderte deutsche Musiker Johann Friedrich Lampe 1702/03 (?)–1751 hat nicht »viele« Charles Wesley-Texte vertont sondern 23. Er komponierte sie für die 1746 von ihm herausgegebene Samrnlung Hymns on the Great Festivals and other Occasions. Zwei davon (Invitation, Dying Stephen) stehen in Hymns and Psalms (1983), dem aktuellen Gesangbuch der britischen Methodisten. (5) Die Melodie »Invitation« ist auch in unserem Gesangbuch (EM 522) zu finden. Lampe ist der erste methodistische Komponist.
S. 331 Zeile 8 (von unten) »EM 297« statt »Meth. Gesangbuch 297«
S. 344 Nach methodistischem Sprachgebrauch »Jährliche Konferenz (JK)«, statt »Jahreskonferenz«
S. 360 Al »Zionsharfe 1863« statt »Zionsharfe 1968«
S. 361 Das Gesangbuch Hymns fort he Use of the People called Methodists (1780) war eine reine Text-Ausgabe und nicht »mit Melodien aus verschiedenen Quellen versehen.« Erst die fünfte Auflage (1786) enthält John Wesleys Vorschläge, welche Melodien aus Sacred Harmony dazu gesungen werden sollten.
S. 364 Charles Wesley spielte in seiner Jugend Flöte, nicht aber »Orgel«.
S. 390 Kenneth G. C. Newport hat schlüssig nachgewiesen, dass die Witwe Sarah Wesley nicht die Herausgeberin des CW-Predigtbands (1816) ist und damit auch nicht als Autorin des Vorworts in Frage kommt. Der Herausgeber könnte der noch nicht identifizierte »W. P.« des »Methodist Book Room« sein.(6)
Trotz dieser Mängel ist die Charles Wesley-Biografie von Gary Best ein empfehlenswertes Buch, das nicht nur neue Einblicke in Charles Wesleys Leben gewährt, sondern auch seine ihm wichtigen Zeitgenossen und das religiöse und politische Umfeld detailliert beschreibt. Breiten Platz nimmt Charles Wesleys Stellung zum Calvinismus und Quietismus ein, so wie seine enge Verflechtung mit der Entwicklung der Erweckungsbewegung innerhalb der Church of England, in der die Bereitschaft der Methodistenprediger ständig wuchs, sich von ihr zu trennen.
Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Charles Wesley-Biografie reichlichen Gebrauch von dem bisher unveröffentlichten Charles Wesley-Manuskripten im Methodist Archive der John Ryland Library, Manchester University, macht, damit das Bild dieses herausragenden Predigers, Kirchenführers und Dichters endlich klarer zum Vorschein kommt.
Es ist der Edition Ruprecht zu danken, dass in einer Zeit der Rezession ein so teures Buch auf den Markt gebracht wurde. Möge die Charles Wesley Biografie viele interessierte Leser finden.
Martin E. Brose
(2) Newport, Kenneth G. C., The Sermons of Charles Wesley, Oxford University Press 2001,
S. 4.
(3) Vgl. S. 23, A17; S. 32, A39; S. 42, A4; S. 81, A26; S. 142, A38; S. 143, A44 u. 45; S. 149, A65; S. 150, A 68 u. 70; S. 158, A98; S. 163, Al13 u. 114; S. 186, A89; S. 187, A93; S. 318, A96; S. 380, A79.
(4) Vgl. Brose, Martin E., »Was sind ›hymns‹? « in: Brose, Martin E., Zum Lob befreit. Charles Wesley und das Kirchenlied, Christliches Verlagshaus, Stuttgart 1997, S. 46–47.
(5) Auf S. 361 werden die vier Lampe-Melodien im Gesangbuch der anglikanischen Kirche erwähnt.
(6) Newport, The Sermons of Charles Wesley, S. 77–78.