Rezension
EmK Geschichte 30 (2009), Heft 1-2
Wenn gefragt wird, was denn »spezifisch methodistisch« sei, kann man mit einigem Recht darauf verweisen, dass die Einheit von Lehre und Leben, die enge Gemeinschaft aus Glauben und die engagierte Wendung zur Welt in Wort und Tat das eigentliche Proprium des Methodismus sind.
Dass seit 100 Jahren ein »Soziales Bekenntnis« die gesellschaftliche Dimension dieses Christ-Seins zu beschreiben versucht, war Anlass zur Rückbesinnung. Um solch eine etwas versandete Quelle wieder sprudeln zu lassen, muss man freilich tief graben und sich auch um die Weiterleitung mühen.
Den Autoren des vorliegenden Buches kann bescheinigt werden, dass sie beide Aufgaben im Blick hatten. Der schmale Band vereint eine solide theologische Fundierung und den historischen Überblick über Ursprung und Wirkungsgeschichte des »Sozialen Bekenntnisses« mit Anregungen für seine Weiterentwicklung und Materialien für die Diskussion den Gemeinden.
Übrigens: Das englische Wort »social« trifft mit seiner breiteren Bedeutung, die auch »gesellschaftlich« meint, die Sache besser, um die es geht, als das deutsche Wort »sozial«. Ich hätte mir in der Einleitung eine entsprechende Erläuterung gewünscht.
Manfred Marquardt stellt überzeugend heraus, wie die soziale Dimension des Evangeliums (die im reformatorischen Denken verankert, aber durch die Fokussierung auf das sola fide weitgehend verdeckt war) im Kontext der (im 18. Jahrhundert in England) beginnenden Industrialisierung neu in den Blick kommt und ein zentraler Teil methodistischer Theologie wird. Wesley versteht die Methodisten als Dienstgemeinschaft, die über bloße Wohltätigkeit hinaus soziale Schranken überwindet. Seine erste Antwort auf die Frage, was die Aufgabe dieser neuen Gemeinschaft sei, lautet bekanntlich: »to reform the nation«. Folgerichtig sind wirtschaftliche Gerechtigkeit, Kampf gegen die Sklaverei und Ablehnung von Krieg für ihn zentrale Themen, die sich aus der Botschaft des Evangeliums und dem Gebot der Nächstenliebe ableiten.
Ulrike Schulers geschichtlicher Abriss macht deutlich, wie das erste »Soziale Bekenntnis« eine Reaktion darauf ist, dass dieser wichtige Teil des methodistischen Erbes am Beginn des 20. Jahrhunderts verloren zu gehen drohte. Sie geht ausführlich auf die Methodist Federation for Social Service ein und nennt die wichtigsten Initiatoren. Die formale Weiterentwicklung in den verschiedenen Zweigen des (amerikanischen) Methodismus und bei den einzelnen Schritten der Kirchenvereinigung wird lückenlos dargestellt; der Prozess der inhaltlichen Erweiterung kommt leider zu kurz. Hier hätte sich zeigen lassen, wie die Kirche aufmerksam und zuweilen fast prophetisch die »Zeichen der Zeit« aus dem Geist des Evangeliums deutet. Der breit angelegte Überblick bezieht auch die wechselseitige Anregung in der Ökumene sowohl bei der Entstehung als auch in der Weiterentwicklung der Texte ein.
Dass ein Text, der engagiert in eine konkrete (U.S.-) Gesellschaft wirken will, nicht 1: 1 in andere Kontexte übertragen werden kann, beschreibt Martin Roth am Beispiel der ZK-MSE. Den Geist des Sozialen Bekenntnisses kann man nicht treffen, wenn man am Buchstaben klebt. Wenn der deutsche Textwirklich in der deutschen / österreichischen /Schweizer Gesellschaft relevant sein soll, muss er die gesellschaftliche Situation und die Mentalität des Landes im Blick haben. Erste Vorschläge, wie das erreicht werden konnte, sind bei M. Roth angefügt.
Leider folgt nun mit einem Papier des »Arbeitskreises evang.-meth. Christen für gesellschaftliches Handeln« in der DDR von 1975 kein Beispiel solcher Adaption, sondern eher der Versuch eines »sozialistischen Gegenentwurfs«. Es fehlt an dieser Stelle der Hinweis, dass es sich keineswegs um einen Text der DDR-EmK handelt (für die eine Arbeitsgruppe der JK zur gleichen Zeit an einer Adaption arbeitete), sondern um den einer sehr kleinen Gruppe Kirchenglieder, die aus unterschiedlichen Gründen um Staatskonformität bemüht waren. Neben dem subjektiv und intellektuell redlichen Bemühen, Evangelium und den »Realsozialismus« zusammen zu denken (das auch dann Achtung verdient, wenn man seine Folgerungen nicht teilt), gab es hier wohl auch einfach deutschen Untertanengeist, der in vorauseilendem Gehorsam sich bei der Obrigkeit anbiedern wollte. Anders lässt sich z.B. Punkt IV mit seiner kritiklosen Unterwerfung unter den Primat der SED und ihre marxistische Lehre kaum erklären. Als Zeitdokument sollte solch ein Text bewahrt werden, im Zusammenhang dieses Buches ist er missverstandlich.(1)
Inzwischen liegt eine fundierte Darstellung des Adaptionsprozesses in der DDR von Rüdiger Minor und Rudolf Endler (damals Vorsitzender der Arbeitsgruppe) im Manuskript vor, die hoffentlich bald erscheinen wird.
Sehr zu empfehlen für die Arbeit in und mit der Gemeinde ist der Text von Ulrich Jahreiß, der in anschaulicher und überzeugeder Weise verdeutlicht, wie soziales Handeln und Evangelisation keine Gegensätze, sondern komplementäre Teile der einen Mission sind. Sein Ziel ist es, das Erbe der Vergangenheit unmittelbar für die Kirche heute nutzbar zu machen.
Im Wortlaut abgedruckt sind das Soziale Bekenntnis von 1908 (englisch und deutsch), die Soziale Erklärung des Weltrats Methodistischer Kirchen, das Inhaltsverzeichnis der Sozialen Grundsätze sowie das Soziale Bekenntnis der EmK (deutsch), außerdem der von der Generalkonferenz 2008 beschlossene Liturgische Text zum Sozialen Bekenntnis im (englischen) Original.
Abgerundet wird der insgesamt gut lesbare Band durch didaktische Hinweise fur die Weiterarbeit (Lothar Elsner), einen Erfahrungsbericht (Christine Guse) und einen Gottesdienstentwurf (Hartmut Handt).
Er ist zur Information für Pastoren und Laien über diesen wichtigen Teil methodistischer Identität ebenso zu empfehlen wie für die Arbeit mit Gemeindegruppen.
Ulrich Meisel
(1) Wortlaut und Erörterung des Zustandekommen dieses Textes wurde bereits publiziert von Ordnung, Carl: Der »Arbeitskreis evangelisch-methodistischer Christen für gesellschaftliches Handeln« in der DDR (1969-77). In: EmKG 23/2 (2002), S.23 -44: