Rezension
Theologie für die Praxis 35 (2009) Heft 1
Was können christliche Gemeinden tun, um Menschen für Jesus Christus zu gewinnen? Auf diese Frage antwortet der US-Amerikaner Robert C. Schnase mit seinem Buch »Fruchtbare Gemeinden und was sie auszeichnet«, das seit Anfang dieses Jahres in deutscher Übersetzung vorliegt. Das Buch ist für die Gemeindepraxis geschrieben und wendet sich besonders an die Mitarbeiter der Gemeinden: Gruppenleiter, Pastoren, Gemeindevorstände etc. Der Autor setzt dabei voraus, dass der Missionsauftrag Jesu bejaht wird: Menschen sollen zum Glauben an Christus finden, im Glauben wachsen und als Jünger Jesu die Welt verändern. Er stellt aber fest, dass viele Mitarbeiter und Pastoren sich mit der praktischen Umsetzung dieses Auftrags schwer tun. Hier möchte das Buch Abhilfe schaffen. Es ermutigt zur Neu-Orientierung und hilft, eine missionarische Strategie zu entwickeln.
Nach den Beobachtungen Schnases sind es fünf Kennzeichen, durch die Gemeinden fruchtbar werden und Wachstum erfahren. Diese sind: Radikale Gastfreundschaft, leidenschaftlicher Gottesdienst, zielgerichtete Glaubens-Entwicklung, risikobereite Mission, außerordentliche Großzügigkeit. Die jeweils beigefügten Adjektive zeigen an, dass es sich um eine einzuübende Gemeindepraxis handelt, die »ungewohnt, überraschend und extrem« ist.
Diese Kennzeichen stellen keine Einzelaspekte dar. Sie beschreiben einen möglichen Weg, wie Menschen zu Nachfolgern Jesu werden. Dazu Schnase: »Gemeinden bieten die liebevolle und einladende Gastfreundschaft Christi an und geben den Menschen das Gefühl, dazu zu gehören. Durch den Gottesdienst verändert Gott ihr Herz und ihre Gedanken und weckt das Verlangen, Christus immer näher zu kommen. Gottes Geist lässt ihren Glauben in einem gemeinsamen Lernprozess wachsen und reifen. Mit zunehmender geistlicher Reife nehmen Menschen den Ruf Gottes wahr, anderen durch ihre Mission zu helfen. Und Gott macht sie dazu bereit, ihre geistlichen und materiellen Gaben zu teilen, damit auch andere die Gnade empfangen, die sie erfahren haben«.
Jedes Kennzeichen wird im Buch in jeweils einem eigenen Kapitel ausführlich beschrieben und durch viele Beispiele aus der Arbeit kleiner und großer Gemeinden sowie aus der Missionspraxis John Wesleys veranschaulicht. Ich kann sie an dieser Stelle nur kurz umreißen.
- Radikale Gastfreundschaft meint, sich auf fremde Menschen einzulassen, sie in die Gemeinde einzuladen und dort mit offenen Armen zu empfangen.
- Gottesdienste werden leidenschaftlich gefeiert, wo Menschen ehrlich vor Gott und voreinander werden und sich für Gottes Wahrheit und Willen öffnen. Solche Gottesdienste müssen voller Erwartung auf Gottes Wirken und mit höchstem Einsatz vorbereitet werden.
- Für eine zielgerichtete Glaubensentwicklung bieten Gemeinden verschiedene qualitätvolle Kleingruppen, Seminare und Freizeiten an. Dort können Menschen in einer echten Gemeinschaft die Bibel, den Glauben und das Leben besser verstehen lernen.
- Risikobereite Mission bedeutet, Menschen zu dienen, die nicht zur Gemeinde gehören, und damit ihr Leben positiv zu verändern. Das können Menschen vor Ort oder in fernen Ländern sein, die sich in schwierigen Situationen befinden. Dazu muss die eigene Wohlfühlzone verlassen werden.
- Außerordentliche Großzügigkeit ist vorhanden, wo Christen sich mit ihrem Besitz als Verwalter Gottes verstehen und zehn Prozent ihres Einkommens für die Sache Jesu geben oder dies anstreben.
Im letzten Kapitel des Buches werden die biografischen und theologischen Grundlagen sichtbar, auf denen das Konzept ruht. Es kann deshalb auch gut als erstes gelesen werden. Hier erfährt man Ausführlicheres über den Autor: wie seine Eltern Kontakt zu einer gastfreundlichen methodistischen Gemeinde bekamen und wie diese Zugehörigkeit sein Leben von Kindheit an gefördert und geprägt hat. Seit fünf Jahren ist Robert Schnase Bischof der Missouri-Konferenz der United Methodist Church und muss erleben, dass viele Gemeinden seiner Konferenz jährlich schrumpfen. Das Buch ist aus diesem Leiden an der gegenwärtigen Situation seiner Kirche entstanden.
Auch die Auseinandersetzung, worin sich die Fruchtbarkeit einer Gemeinde äußert, wird am Ende des Buches geführt. Für Schnase ist eine Gemeinde fruchtbar, wenn sie qualitativ (im Glauben, in der Liebe, im Dienst füreinander …) und quantitativ wächst. Die Fruchtbarkeit ist deshalb auch an wachsenden Glieder- und Freundeszahlen messbar. Sie darf von Gemeinden erwartet und nicht gegen den Begriff der »Treue« ausgespielt werden. An der Fruchtbarkeit zeigt sich, wie gut von einer Gemeinde der Missionsauftrag und damit eben auch die fünf Kennzeichen erfüllt werden.
Nach meinem Eindruck ist es Schnase gelungen, ein Konzept für eine missionarische Praxis zu entwickeln, das in den Gemeinden gut vermittelt werden kann. Die Kennzeichen können an einer Hand abgezählt werden und sind prägnant und herausfordernd formuliert. Nicht alle Formulierungen finde ich glücklich gewählt, aber auch darüber kann es ja in den einzelnen Gemeinden fruchtbare Diskussionen geben. Und wenn sie einmal eingeführt sind, können anhand der fünf Kennzeichen die Schwerpunktsetzungen und Jahrespläne der eigenen Gemeinde (oder der Jährlichen Konferenz) in den Leitungsgremien überprüft und korrigiert werden.
Besonders hilfreich finde ich den Begriff »Gastfreundschaft«, der den in anderen Konzepten geläufigen Begriff »Evangelisation« ersetzt. Letzterer ist und bleibt bei manchen Christen negativ besetzt. Einige assoziieren damit ein verkrampftes Gespräch über den Glauben. Der Begriff der Gastfreundschaft betont demgegenüber viel stärker die aufgeschlossene Haltung gegenüber Außenstehenden, aus der heraus Einladungen (zu Unternehmungen, zu Gemeindeveranstaltungen und schließlich zum Glauben an Christus) ausgesprochen werden.
Zur weiteren und nun fruchtbareren Arbeit in der Gemeinde hat mich das Buch trotz der anregenden Beispiele nur teilweise motiviert. In einigen Passagen, in denen im manchmal eintönigen Stil aufgezählt wird, was fruchtbare Gemeinden alles tun, fühlte ich mich als verantwortlicher Pastor schlicht überfordert. Und anstatt nach vorne zu schauen, wie vom Autor sicherlich gewünscht, ertappte ich mich bei der Frage: Wie fruchtbar war eigentlich dein bisheriges Leben als Christ und dein Dienst in der Gemeinde? Hier können gerade bei langjährigen Mitarbeitern viele Fragen aufbrechen. Dies kann sicherlich ein notwendiger schmerzlicher Prozess sein, er wird mir aber vom Autor zu wenig bedacht und begleitet. Um neu anfangen zu können, muss mir und vielen Mitarbeitern aus schrumpfenden Gemeinden für erkannte Versäumnisse Vergebung zugesprochen und gezeigt werden, wie Gott auch mit gescheiterten Christen und Gemeinden noch weiterarbeiten möchte.
Ich stimme dem Autor zu, dass wir uns mit mittelmäßiger Gemeindearbeit nicht zufrieden geben dürfen. Hier ist Umkehr und neue Hingabe notwendig. Und wenn wir danach streben, »das Beste und Höchste für Gott zu geben«, dürfen wir auch erwarten, dass Gott es benutzt, um sichtbare Früchte wachsen zu lassen. Aber trotzdem geschieht dies nach meinem Verständnis nie zwangsläufig. Vermisst habe ich die mich befreiende und anspornende Aussage, dass Frucht trotz all unseres Einsatzes ein Wunder Gottes bleibt, über das wir nur staunen, uns miteinander freuen und für das wir Gott loben können.
Knut Neumann