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Rezension

Jahrbuch für Freikirchenforschung (18) 2009

Die zuerst 1977 veröffentlichte Arbeit des langjährigen Reutlinger Systematikers Manfred Marquardt hat sich inzwischen – auch im internationalen Bereich durch die Übersetzungen ins Englische, Koreanische und Tschechische – als ein Standardwerk erwiesen. Der Impulsgeber für das Entstehen der methodistischen Kirchenfamilie, John Wesley (1703–1791), hat durch seinen theologischen Ansatz, der Rechtfertigung und Heiligung in einer damals auf dem europäischen Kontinent ungewöhnlichen Weise verband, den Frömmigkeitsstil des frühen Methodismus geprägt. Er »entdeckte« die Mission als Evangelisation unter Getauften neu und sah darin den zentralen Auftrag der Kirche und der Christen. Evangelisation war aber nur ein Element der missionarischen Existenz der Kirche. Sie war, wenn sie im biblischen Sinne Mission sein wollte, unauflöslich mit der individuellen, gesamtkirchlichen und gesellschaftlichen sozialen Dimension verbunden. So entstand auf der Basis eines erweckten und erfüllten Glaubens eine evangelistisch-diakonische Spiritualität, die beide Akzente – den evangelistischen und den diakonischen – weder als Gegensatz noch als Ungleichgewicht mit einem besonderen Vorrang der einen Aktivität vor der anderen entwickelte: Für Wesley war dies kein theoretisch entwickeltes Modell, sondern der in der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Zeit Schritt für Schritt begangene Weg.
Diesen hat der Autor systematisch in den einzelnen Feldern erfasst und in den theologischen Rahmen, den er als Wesleys »Prinzipien der Sozialethik« bezeichnet, eingeordnet. Die in der Untersuchung erfassten Felder, die durchaus die zentralen Aktivitäten Wesleys widerspiegen, sind: 1. »Die soziale Arbeit der Oxforder Früh-Methodisten« (13–24), wie Marquardt sie bezeichnet. Sprachlich ist das angemessen, trotzdem kann es irritierend sein, denn diese »Früh-Methodisten« waren noch nicht von jener Spiritualität geprägt, die Wesley nach der Begegnung mit der reformatorischen Theologie des Kontinents ab 1738 vertrat. Inhaltlich gesehen handelt es sich hier im Grund um eine »Vor-methodistische« Phase (vgl. 23 f.). Das schließt nicht aus, dass eine Reihe der Aktivitäten aus dieser Zeit langfristig eine prägende Wirkung gehabt haben können. 2. Typisch ist »Die Armenhilfe Wesleys und der frühmethodistischen Gemeinschaften« (25–37). Schon die Überschrift zeigt, dass es im Methodismus nicht ausschließlich um individuelle Hilfe geht, sondern die sich bildenden Gemeinschaften darin eine gemeinsame Aufgabe sahen. 3. Über die Vorstellungskraft kontinentaler Theologen hinaus leistete Wesleys Ansatz bereits im 18. Jahrhundert einen »Beitrag zur Wirtschaftsethik« (38–58), der sich nicht mit öffentlichen Erklärungen selbst genügte, sondern bis in die Gemeinschaften hinein verankert war, ja bei der Aufnahme jedes Einzelnen in die Gemeinschaften durch dessen oder deren Akzeptanz »Allgemeiner Regeln« (General Rules) geradezu zu ethischem Einsatz verpflichtet wurde. 4. »Die Erziehungs- und Bildungsarbeit Wesleys und seiner Mitarbeiter« (59–84) umfasste Sonntagsschule, Schulprojekte, Erwachsenenbildung durch Unterricht und Literatur und – anders als in späteren Zeiten des kontinentalen Pietismus – theologische (aber nicht nur!) Fortbildung für predigende Laien und Predigthörer. 5. Ein Kapitel ist »Wesleys Kampf gegen die Sklaverei« (85–97) gewidmet, in der er die »größte Schurkerei unter der Sonne« sah. Wesleys »Einstellung zum Krieg« ist leider nur ein im Inhaltsverzeichnis nicht ausgewiesener Exkurs (172–176) gewidmet. 6. Das weite Feld der Gefangenenfürsorge und der Gefängnisreform (98–110) hat der Methodist den Quäkern nicht allein überlassen, wenngleich die Aktivitäten der Elisabeth Fry (1780–1845) auf dem Kontinent stärker in das Bewusstsein eingedrungen sind.
In einem zweiten umfangreichen Teil arbeitet Manfred Marquardt die »Prinzipien der Sozialethik Wesleys« heraus (111–184). Sie sind natürlich theologisch in zentralen Feldern verankert. In drei Abteilungen geht es 1. um die »Voraussetzungen der Sozialethik« (112–132). Sie stellt sich als tief verwurzelt in Gottes gnädigem, erneuernden Handeln dar, durch das der Mensch zu guten Werken fähig wird. 2. »Die Maßstäbe für Sozialethik« (133–158) sind zuallererst Gottes- und Menschenliebe. Damit ist das Thema der Heiligung erreicht, denn der »Glaube ist der Ausgangspunkt der Heiligung, und Liebe ihr wesentlicher Inhalt« (138). Aber damit ist das große Feld noch längst nicht abgedeckt. Die Rolle der Gebote und des Gesetzes, Christus, die Vorbilder und die Vernunft werden noch mit ins Blickfeld gerückt. Schließlich geht es 3. um die »Ziele der Sozialethik« (159–177). Dabei wird u. a. die Erneuerung des Einzelnen wie die Erneuerung der Gesellschaft behandelt. 4. In den »Schlussbemerkungen« (178–184) werden Schwächen und Vorzüge der Sozialethik Wesleys diskutiert. Das mit einigen neueren Veröffentlichungen ergänzte Literaturverzeichnis sowie ein Sach- und ein Namenregister schließen dieses Werk ab.
Die immer stärker von sozialethischen Fragen bestimmte theologische Debatte, ihre einerseits ökumenische Weite und andererseits die nationalen sozialen Probleme erfassende Dimension geben der erneuten Veröffentlichung einen aktuellen Rahmen. Wer an einer biblisch-theologischen Positionierung in der Weiterführung der brennenden gesellschaftlichen Fragen interessiert ist, der findet in dieser Studie ein anregendes und bereicherndes ökumenisches Angebot.
Sollte es zu einer vierten Auflage kommen, dann wäre in der Erweiterung des Buchtitels die Frage aktuell, wie sich die dargelegten Positionen auf die Gestaltung des Methodismus in den USA ausgewirkt haben und warum der kontinentale Methodismus in weiten Teilen offensichtlich mehr vom Pietismus und der konservativen Gemeinschaftsbewegung geprägt wurde, als durch den theologisch und morphologisch – also in der Gestalt Kirche zu sein – nach-aufklärerischen englischen Methodismus mit seinem weitreichenden sozialethischen Implikationen. Es wäre auch wünschenswert zu untersuchen, warum die eigenkirchlichen Erfahrungen gerade im Zuge der Großstadtmission in Deutschland kaum eine Rolle gespielt haben, und warum sie nicht rezipiert wurden. Solche Aspekte würden einer weiteren Auflage eine neue Aktualität geben und ein erneutes Interesse wecken können, vielleicht auch in den Fragen und Motiven des missionarischen Gemeindeaufbaus manches in ein theologisch helleres Licht rücken.
Karl Heinz Voigt

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Praxis und Prinzipien der Sozialethik John Wesleys

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Praxis und Prinzipien der Sozialethik John Wesleys

Marquardt, Manfred

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