Rezension
unterwegs 4/2009
Interview mit Eberhard Schilling (Herausgeber der deutschen Ausgabe)
1. Herr Schilling, was ist eigentlich »Gemeindeaufbau«?
Gemeindeaufbau ist der gezielte Versuch, die Kirche Jesu Christi so zu gestalten und zu entwickeln, dass Menschen in ihr Gott begegnen und erfahren, dass sie geliebt sind, dass sie im Glauben wachsen und Hilfe für ein erfülltes Leben finden. Dabei ist es unerlässlich, danach zu fragen, welchen Auftrag Jesus seiner Kirche gegeben hat und wie wir ihn effektiv und zeitgemäß umsetzen können. Und weil jede Gemeindesituation anders ist, gibt es im Gemeindeaufbau kein 08/15-Patentrezept, sondern sehr unterschiedliche Wege und Herausforderungen.
Einen sehr großen Vorteil von Schnases Buch sehe ich darin, dass wir damit ohne Umwege direkt an einer glaubwürdigen Praxis arbeiten können. Leider beobachte ich immer wieder, dass wir bei neuen Ansätzen zum Gemeindeaufbau zu lange in Diskussionen und Reflexion hängen bleiben und irgendwelche Gremien damit beschäftigen, ob, wie und wann was denn jetzt richtig und dran wäre und was nicht. Die fünf Kennzeichen von Robert Schnase sind so plausibel, packend und einleuchtend, dass sie in den unterschiedlichsten Gemeindesituationen unmittelbar angegangen werden können – und das, ohne einem billigen Aktionismus zu verfallen. Darüber hinaus liefert es anregende Beispiele aus dem Kontext unserer Kirche und greift Impulse und Anregungen aus der wesleyanischen Tradition auf. Dieser Akzent ist in der deutschsprachigen Ausgabe durch den Praxisteil, den Friedemann Burkhardt geschrieben hat, noch verstärkt. Vieles von dem, was Bischof Schnase schreibt, ist uns anderswo in der Gemeindeaufbauliteratur auch schon mal begegnet, aber die Mischung aus Praktikabilität und methodistischem Kontext macht es für uns in der EmK zu einem Buch, das die Herausforderungen, vor denen wir in vielen unserer Gemeinden stehen, klar benennt und gleichzeitig Wege zur Veränderung aufzeigt.
Eigentlich sprechen die Begriffe für sich. Es geht um Gastfreundschaft, Gottesdienst, Glaubensentwicklung, Mission und Großzügigkeit. Faszinierend und herausfordernd aber ist, dass Robert Schnase jeweils ein Adjektiv dazu stellt, das das Mehr beschreibt, das Gemeinden leben, die sich von Jesus und der Art, wie er seinen Dienst verstanden hat, anstecken lassen. So geht es dann um radikale Gastfreundschaft, leidenschaftlichen Gottesdienst, zielgerichtete Glaubensentwicklung, risikobereite Mission und außerordentliche Großzügigkeit. Wo das gelebt wird, werden Gemeinden zu anziehenden Gemeinschaften, die Menschen zu Jüngern und Jüngerinnen Jesu machen und so zur Veränderung der Welt beitragen.
Grundsätzlich haben wir als Herausgeberkreis die Entscheidung getroffen, im wesentlichen eine Übersetzung des Buches anzubieten und nicht den Versuch zu unternehmen, eine komplette Überarbeitung für mitteleuropäische Verhältnisse zu liefern. Wir trauen es den Lesern zu, die Beispiele und die Begriffswelt, die aus dem US-amerikanischen Kontext stammen, einsortieren und auf die eigenen Verhältnisse übertragen zu können. Dass manches vielleicht ein wenig fremd oder ungewohnt rüber kommt, kann auch anregend wirken. Trotzdem haben wir natürlich an etlichen Stellen Anpassungen vorgenommen. Robert Schnase schreibt z.B. oft von »Sonntagsschulklassen«, was wir in der Regel einfach durch »Kleingruppen« ersetzt haben, weil das Angebot der Sonntagsschule für Erwachsene als Ergänzung zum Gottesdienst bei uns praktisch unbekannt ist. Oder wir haben ein Beispiel, das vom »Dienst der Ministranten« in einer hochkirchlich geprägten Gemeinde handelt, einfach weggelassen, weil es in unserem europäischen Kontext schwer einzuordnen wäre und zu Missverständnissen führen könnte.
»Fruchtbare Gemeinden und was sie auszeichnet« ist allgemeinverständlich, leicht zu lesen und enthält viele Impulse, die für unsere durchaus unterschiedlichen Gemeindesituationen relevant sind. Deshalb wünsche ich mir, dass nicht nur Pastoren, Pastorinnen und andere Hauptamtliche sich davon inspirieren lassen, sondern dass viele Gemeindeglieder es lesen. Und natürlich hoffen wir, dass eine große Zahl unserer Gemeinden das Buch gemeinsam durcharbeitet, z.B. in einer 40-Tage-Aktion, zu der der Praxisteil hervorragend anleitet. Das Evangelisationswerk bietet dazu ergänzende Materialien und Hilfestellungen an, die demnächst unter www.fruchtbare-gemeinden.net zu finden sein werden. Spätestens ab Ostern 2009 werden die Unterlagen dort komplett sein. Und das Bildungswerk führt in den nächsten Monaten in verschiedenen Regionen Schulungstage für Kleingruppenleiter solcher 40-Tage-Aktionen durch, so dass Gemeinden zuverlässig planen und mit Unterstützung auf verschiedenen Ebenen rechnen können.
6. Wie kamen Sie dazu, bei der Herausgabe dieses Buches mitzuwirken? Welche Wünsche geben Sie dem Buch mit?
Zunächst ging es mir so wie vielen anderen – das Buch hat mich einfach gepackt. Ich hatte es zu einem relativ frühen Zeitpunkt gelesen und war begeistert. Als Sekretäre im Evangelisationswerk überlegen wir ständig, welche der vielen Impulse und Arbeitsmaterialen auf dem Gebiet des Gemeindeaufbaus wir den Gemeinden unserer Kirche empfehlen können, und nun bot sich die Chance, ein hervorragendes Buch aus dem eigenkirchlichen Bereich in deutscher Sprache zur Verfügung stellen zu können. Es war großartig, mitzuerleben, wie das Buch auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig Beachtung gefunden hat – bei den Superintendentenberichten der Jährlichen Konferenzen (auch in der Schweiz), beim Medienwerk und eben bei uns im Evangelisationswerk. So war es für mich keine Frage, dass ich mich für dieses Projekt einsetzen und im Herausgeberkreis mitarbeiten sollte. Ich freue mich darüber, dass das Ergebnis wirklich gelungen ist – das Buch ist (jedenfalls meiner Meinung nach) wesentlich ansprechender gestaltet als die amerikanische Originalausgabe und bietet durch den Praxisteil einen echten Mehrwert, so dass der etwas höhere Preis durchaus gerechtfertigt ist. Ich wünsche ihm, dass es Herzen berührt, überfällige Veränderungen auslöst und vielen unserer Gemeinden hilft, zukunftsfähig zu sein und zu bleiben.