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Rezension

Predigt im Gespräch Nr. 127, September 2016 sowie Deutsches Pfarrerblatt, Februar 2017

Sechzehn Ohren schmücken das Titelbild des Buches und zeigen damit deutlich, worum es Christoph Barnbrock geht: um das Hören von Predigten. Es ist wohl das konsequenteste homiletische Buch, das sich ausschließlich mit dem Hören beschäftigt. Dabei sind die Adressaten nicht die Predigenden (obwohl auch für sie wertvolle Hinweise zu finden sind), sondern die hörende Gemeinde. Es ist ein Buch, dass alle die ansprechen will, die Gottesdienste besuchen und Predigten hören oder hören wollen. Es ermutigt, das eigene Hören zu durchdenken und regt an, bewusster zu hören und dabei die Gefahren und Chancen beim Hören zu erkennen. Obwohl die Probleme des Hörens auf hohem Differenzierungsniveau dargestellt werden, ist die Sprache leicht verständlich, angenehm zu lesen.
Das Buch ist didaktisch durchdacht und sehr konsequent aufgebaut. In zwanzig Kapiteln werden die unterschiedlichsten Aspekte des Hörens entfaltet, dem folgen Arbeits- und Vertiefungsvorschläge unter der Überschrift »Eindrücke sortieren und austauschen« und schließlich Literaturangaben unter dem Titel: »Stehenbleiben und verweilen«. Vorangeht eine »Expeditionsvorbereitung« anstelle eines Vorworts und den zwanzig Hauptkapiteln folgen noch drei, in denen der Autor die Vorgeschichte des Buches erzählt, den Dank an Wegbegleiter ausspricht und ein ausführliches Literaturverzeichnis bietet. Jedem Hauptkapitel sind Illustrationen von Marie-Luise Voigt vorgefügt, die das Hören durch einen Impuls zum Sehen eröffnen.
Die Überschriften der zwanzig Hauptkapitel sind immer zweigeteilt. Der erste Teil lädt ein zu einer Entdeckungsreise (z.B. Vielfalt entdecken, Das Ziel im Blick, Vor dem nächsten Aufbruch, am Zielort im Café, Fotos anschauen, Reisefeedback), der zweite Teil enthält verschiedene Aspekte zum Hören und Predigthören (z.B. Unterschiedliche Arten zu hören, Verstehen und Missverstehen, Hörerwartungen, Aktiv zuhören, Als ganzer Mensch hören, Predigten nachklingen lassen, Predigthören in der Ökumene).
Angesichts der Fülle der Aspekte, die der Autor zum Thema »Hören« entfaltet, kann die Rezension sich nur auf einige wenige zentrale konzentrieren. Da das Innenohr sich beim Embryo ist schon nach ca. 20 Wochen komplett funktionsfähig, das Hören ist also der intensivsten Kontakt zur Außenwelt. Die deutsche Sprache kennt Begriffe, die die Komplexität dessen, was wir Hören nennen, erkennen lassen: überhören, verhören, hinhören. Darüber hinaus gibt es eine Fülle unterschiedlichster Arten zu hören. Aus den von Thomas Nisslmüller (Homo audiens, Göttingen 2008) 95 Hörmodi konzentriert sich Barnbrock auf sechzehn: erzwungenes, begehrendes, szenisches, apologetisches, domestizierendes, ignorantes, überlegenes, demütiges, frustriertes, achtsames, anteilnehmendes, innovatives Hören, Entwurfshören, ruhendes, andächtiges und eucharistisches oder anmutiges Hören. Diese Begriffe werden kurz und prägnant erläutert. Der Zusammenhang von Hören und Glauben wird am Schema’ Jisrael, an Joh 10,27f und an Luthers Verständnis von Hören als ein Akt des Empfanges dargestellt. »Das Wort schafft Glauben, und der Glaube hat, wenn er sich am Wort festmacht, das, was das Wort sagt« (S. 42). Angesichts der modernen Kommunikationsmittel und der Omnipräsenz von Bildern stellen sich besondere Anforderungen an Predigende, die Predigt so zu gestalten, dass sie »gehört« werden kann. Predigtgeschichte und Predigtformen werden behandelt. Unter letzteren behandelt Barnbrock die Homilie, die Zwei- oder Drei-Punkte-Predigt, Katechismus- und Liedpredigt, Predigt mit Symbolen, soziale und politische Predigt, Themenpredigt und Bibliolog.
Speziell mit Blick auf die Predigthörenden werden Zugänge zum Predigthören referiert; so eine Arbeit aus Skandinavien, die assoziatives, kritisches, und kontemplatives Hören unterscheidet und eine aus den USA, die sich am aristotelischen Modell von Ethos, Logos und Pathos orientiert. Zu Ethos gehört die Person des Predigenden, zu Logos die intellektuelle Herausforderung der Predigt, zu Pathos Dankbarkeit oder Ärger, also Emotionen auf Seiten der Hörenden. Hörerwartungen werden unter den Aspekten »Zuhörereignis«, Predigt als Kunstwerk, Predigt als Anregung zum Nachdenken, Predigt als inhaltliche Aussage, als klare Botschaft, Predigt als Spiegelung des Alltags, als Erläuterung des biblischen Textes, als Impulsgeberin für das Handeln im Alltag, als Äußerung einer Person und schließlich als »emotionale Berührung« behandelt.
Dass die gehörte Predigt nicht identisch ist mit der aufgeschriebenen wird in einem weiteren Kapitel (10) behandelt. Hier werden wertvolle Hinweise zum aktiven Zuhören gegeben. Dem Thema der Beeinflussung des Hörens durch die jeweiligen Lebenszusammenhänge, aber auch durch die Gemeinde und schließlich durch den Gottesdienst als ganzem bzw. der Liturgie handelt Kapitel 11. Auch der Ort, an dem sich der Hörende in der Kirche niederlässt mit seinen Folgen für das Hören wird bedacht.
Dass Barnbrock ganz konsequent vom Hörenden her denkt, zeigt sich darin, dass er den Gottesdienstbesuchern Anregungen gibt, wie sie sich auf die Predigt vorbereiten können. Wohl gemerkt: nicht der Prediger/die Predigerin wird hier angesprochen, sondern die hörende Gemeinde. Die Anregungen sind teils sehr praktisch (gutes Frühstück oder doch lieber Fasten), Stille, Gebet, gemeinsame Vorbesprechung der Predigt in einer Gruppe. Wenn ich mit der Predigt Probleme habe, könnte es auch daran liegen, dass ich nicht bereit bin, mich in meiner bisherigen Lebensauffassung in Frage stellen zu lassen oder mich zu immunisieren gegen die Anmutungen des Evangeliums. Eine geistliche Übung des Predigthörens kann zudem darin bestehen, dass ich mich mit bestimmten Fragen nach der gehörten Predigt beschäftige: Was habe ich gehört? Wofür kann ich danken? Wo werde ich zur Umkehr gerufen (Wo zeigt sich, dass ich um mich selbst kreise?), Wofür kann ich bitten? (S. 96). Diese und weitere von Barnbrock gestellten Fragen sollen helfen, mein eigenes Predigthören zu schulen, und mit Kriterien an die Hand geben, die nicht nur auf das Gehörte, sondern auf mich selbst zielen.
Konsequent führen diese Anregungen zum Predigtnachgespräch. Hier finden sich etliche Anregungen, vom Kirchencafé bis zum Nachlesen von Internetpredigten zum Predigttext des Sonntags. Chancen und Risiken von Predigtnachgesprächen in der Gemeinde werden diskutiert und ein wertschätzender und an Leitfragen orientierter Gesprächsgang mit neutraler Leitung empfohlen. Eindrücke von Gottesdiensten in verschiedenen Gemeinden in Afrika und den USA laden zur Öffnung ein, Fremdes als Bereicherung zu erleben.
Ich habe dieses Buch mit Freude gelesen. Die einzelnen Kapitel sind nicht lang, aber doch jeweils sehr vielseitig und anregend. Es lohnt sich, vor dem nächsten Gottesdienstbesuch als Hörender dieses Buch zur Hand zu nehmen, und sich – zunächst mit einigen, später mit immer mehr – Anregungen auseinander zu setzen und damit das eigene Hörverhalten kritischer zu reflektieren. Gerade auch dann, wenn ich, wie Barnbrock, hin und wieder Noten geben muss, wenn Vikarinnen oder Vikare ihre Examenspredigt halten.
Jürgen Kegler

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Hörbuch

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Hörbuch

Eine Entdeckungsreise für Predigthörerinnen und Predigthörer
Barnbrock, Christoph/Voigt, Marie-Luise

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