Rezension
katholisch-informiert.ch von 28.02.2014
Wenn evangelische Theologen sich mit den Gegenwartsfragen der Bibelwissenschaft befassen, waren die römischen Päpste bisher nicht erste Adresse, um einen Dialog auf Augenhöhe zu suchen.
Doch der Theologe, der als Papst Benedikt XVI. vor einem Jahr zurückgetreten ist, dürfte anerkanntermassen eine Ausnahme sein. Es hat ja wohl auch kein Papst bisher ein dreibändiges Christusbekenntnis hinterlassen, das in seinem ernsthaften Ruf zur Umkehr nicht nur sprachliche Ähnlichkeiten zur schriftgebundenen evangelischen Theologie zeigt.(1) Jetzt sind sieben Autoren unter der Herausgeberschaft von Christoph Raedel in einem Buch mit dem Titel »Mitarbeiter der Wahrheit« der Frage nachgegangen, welche Bedeutung Joseph Ratzinger »für die Bezeugung des christlichen Glaubens unter den Bedingungen einer postchristlichen, pluralistischen Gesellschaft zukommt«(2). Dabei verlieren sie zwar das eigene Profil nicht aus dem Auge, so z.B. beim Thema Ekklesiologie, Amt, Liturgie u.a. Aber sie erkennen, anders als viele katholische deutsche Theologen, die Provokation und den frischen Wind, den z.B. die Jesusbände in die aktuelle bibelwissenschaftliche Diskussion gebracht haben.
Mehrere Autoren des Buches befassen sich mit Benedikts Herausforderung einer Exegese, die mit ihrer historisch-kritischen Methode undiskutierbar vorgibt, dass Jesus als reale menschliche Gestalt, und zwar nur als reale menschliche Gestalt der Ausgangspunkt ihrer historischen und wissenschaftlichen Untersuchung sein kann. Der Christus des Bekenntnisses fällt nicht in ihr Ressort. Damit ergibt sich die Gefahr, dass der sog. »historische Jesus« oft und zu schnell mit dem »wirklichen« gleichgesetzt wird.
Ratzingers lebenslanger Anspruch war und ist, dass der Christus des Glaubens und der »historische Jesus« untrennbar eins sind. Es gab – so Ratzinger – zu keiner Zeit einen nur menschlichen Jesus. Insofern ist dann die Suche nach dem historischen Jesus eine Suche nach etwas, das es geschichtlich nie gab. In der Tat: ob Jesus nur war oder ob er auch ist, das ist nicht nur für ihn entscheidend.(3) Die daraus entstandene neu angefachte Diskussion über Rolle und Aufgabe der Bibelwissenschaften wird in dem Buch in verschiedenen Beiträgen mit grosser Kenntnis der dazu entstandenen Literatur kommentiert, bereichert und mit eigenen weiterführenden Standpunkten versehen. Hoch spannend zu lesen! Es zeigt sich: ein Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Fragerichtung muss her: »Entscheidend ist, ob man fragt, wie Gott in die Welt gekommen ist … oder ob man fragt, wie der Mensch Jesus zum Gottessohn erhoben wurde.«(4)
Das zweite Kernthema, dass von verschiedenen Theologen in dem Buch behandelt wird, ist Ratzingers immer wiederkehrende Frage: »Kann Wahrheit erkannt werden? Oder ist die Wahrheitsfrage im Bereich von Religion und Glaube schlichtweg unangebracht?«(5) Benedikt betont immer wieder in Rückgriff auf die Schrift: »Wenn es keine Wahrheit vom Menschen gibt, hat er auch keine Freiheit. Nur die Wahrheit macht frei.«(6) Jeder Mensch hat nach ihm kraft seiner Natur die Möglichkeit vernünftiger Wahrheitserkenntnis. Diese wird aber christologisch und als Offenbarungsgeschehen bestimmt. Wahrheit ist also immer die Wahrheit Jesu Christi. Diese Wahrheit kann nicht als Idee sondern nur durch das Eintreten in einen Weg erkannt werden. Erst im Mitgehen lässt sich das Christliche erfassen.
Klar, dass hier eine spannende und stellenweise kontroverse Diskussion mit evangelischen Theologen entstehen muss, in die dann schliesslich sogar eine Replik des Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, mit einbezogen wird!
Das Buch spricht Leserinnen und Leser nicht in konfessionellen Grenzen an, sondern im Raum einer »›Zeugnis-Ökumene‹, für die das gemeinsame Studium der Bibel und das Fragen nach der Wahrheit elementar wichtig sind«(7).
Wohltuend ist die Unaufgeregtheit fast aller Autoren im Umgang mit dem Pontifex. Theologen der eigenen Konfession können oftmals kaum ohne erhöhten Pulsschlag in der einen oder anderen Richtung mit den Aussagen des Papstes umgehen. Im vorliegenden Buch ist eher Vertrauen zu spüren: Benedikts Umgang mit der Heiligen Schrift, seine wohl lebenslange Meditation biblischer Texte, sein Blick auf Jesus Christus, vermitteln Nähe und Weggemeinschaft in den heutigen Herausforderungen.
Diese Weggemeinschaft kommt aber dann nicht weiter, sobald Fragen der Ekklesiologie und damit verwandte Themen ins Spiel kommen. Hier klagt Roland Deines: »Wer alles Licht nur in der einen Kirche sieht, muss sich nicht wundern, wenn ihm die Welt ausserhalb dunkel erscheint.«(8) Doch diesen Blickwinkel überwindet das Buch, indem es nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner unterschiedlicher konfessioneller Überzeugungen sucht, sondern die ›Zeugnis-Ökumene‹ im grössten gemeinsamen Nenner sieht, im Namen Jesu Christi und der Wahrheit, die in diesem Namen innewohnt.(9)
Georg Lorleberg