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Rezension

Jahrbuch für Freikirchenforschung (22) 2013

Der hier anzuzeigende Band dokumentiert die Referate (und Andachten) des vierten Symposiums, das das Johann-Adam-Möhler-Institut Paderborn mit Vertretern der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) führte. Das Symposium widmete sich, wie der Titel des Buches anzeigt, dem ökumenisch herausfordernden Bereich der Ekklesiologie und dabei insbesondere dem Verhältnis von Kirche und (Einzel-)Gemeinde. Die einzelnen Beiträge lassen sich drei Fachdisziplinen zuordnen: Die exegetische Grundlegung erfolgt durch Referate von Rainer Dillmann für die römisch-katholische und André Heinze für die freikirchliche Seite. Der überwiegende Teil der Beiträge ist konfessionskundlicher Natur: Burkhard Neumann untersucht den Wandel des katholischen Kirchenbildes bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Johannes Demandt zeichnet die Veränderungsprozesse im Gemeindeverständnis der Freien Evangelischen Gemeinden nach. Michael Nausners Beitrag stellt die methodistische Ekldesiologie in einen globalen Kontext, während Niels Gärtner die beiden Herrnhuter Formen der Ortsgemeinde und der Regionalgemeinde näher erläutert. Michael Hardt skizziert das sich verändernde Verständnis der »Pfarrei« in der römisch-katholischen Kirche, und schließlich interpretiert Ralf Dziewas am Beispiel des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden das spannungsreiche Verhältnis zwischen Bund, Einzelgemeinde und Pastor. Eine dritte Gruppe von Beiträgen ist der ökumenischen Theologie zuzuordnen: Tim Lindfeld analysiert die Aussagen der von der römisch-katholischen Kirche mit Freikirchen geführten bilateralen Dialoge, bevor Kim Strübind die ökumenischen Potenziale und Nöte baptistischer Ekklesiologie aufzeigt. Die Herausgeber ziehen in zwei knappen Schlussworten ein Resümee der Tagung. Auch die Andachten der Tagung (Jürgen Stolze, Johannes Oeldemann) sind hier dokumentiert.
Die Zugänge der Referenten zu den ihnen gestellten Themen ist äußerst unterschiedlich — und das ist hier nun leider kein Vorzug. Der Sinn und Zweck der Tagung wird offenbar, vor allem auf Seiten der von der VEF entsandten Vertreter, sehr unterschiedlich interpretiert. Einige Schlaglichter sollen dies illustrieren: Der emeritierte römisch-katholische Neutestamentler Rainer Dillmann nähert sich der Frage nach den »Kirchenbildern in der Bibel« sehr konventionell, indem er unter Rückgriff auf vornehmlich ältere und zudem ausschließlich deutschsprachige Literatur Bilder von Kirche wie »Volk Gottes«, »Leib Christi«, »Bau und Ackerfeld« etc. erläutert. Seine Entscheidung, ausschließlich auf Substantive Bezug zu nehmen und ekklesiologisch maßgebliche Vorzugsverben wie »nachfolgen«, »senden«, »heiligen« usw. auszublenden, wirken sich dahingehend aus, dass insgesamt ein recht statisches Bild von Kirche im Neuen Testament entsteht, das ich dort so nicht erkennen kann. Vielleicht hätte hier die Rezeption der neueren Beiträge z. B. von Thomas Söding (um einen röm.-kath. Theologen zu nennen) zu einem im Ganzen günstigeren Bild geführt. Das Fazit des Beitrags bleibt rein formal: Es gibt nicht das eine, sondern viele unterschiedliche Bilder von Kirche im Neuen Testament. Das ist ein im Ganzen doch sehr bescheidener Ertrag.
Alles andere als konventionell, nämlich recht originell nimmt sich der baptistische Neutestamentler Heinze der Pastoralbriefe an. Dabei versucht er in detaillierter Analyse zu zeigen, dass die fiktiven Schreiber dieser an fiktive Adressaten gerichteten Briefe die Absicht hatte, durch Intervention unter der vorgeblichen Autorität des Apostels Paulus die innere Struktur der Gemeinde umzubauen: Der Einfluss von Presbytern und Witwen soll zugunsten des zu stärkenden Amtes der Episkopen zurückgedrängt werden. Als dahinterstehendes Motiv identifiziert Heinze die Abwehr von Irrlehren, die über einzelne von den Presbytern geleitete Hausgemeinden Eingang gefunden hätten. Heinzes Rekonstruktionen der hinter soviel literarischer Fiktion stehenden historischen Situationen zu folgen, verlangt Konzentration und einen großes Zutrauen zur Leistungfärhigkeit historischer Rekonstruktionen. Denn man fragt sich neben vielem anderem, was im Detail anzumerken ist, zum Beispiel, wie es vorzustellen sei, dass Episkopen als überörtliche Gemeindeamtsträger etabliert werden sollten, während diese in Phil 1,1 – so Heinze – gerade als Leiter der Hausgemeinden angesprochen werden, die – nun als übergeordnete Leiter – den Einfluss der Presbyter jetzt verstanden als Hausgemeindeleiter – zurückdrängen sollen. Die Heinzes These zugrundeliegende Abgrenzung der Bezeichnung für Träger von Gemeindeämtern lässt sich in dieser Klarheit eben nicht rekonstruieren. Allerdings, so der baptistische Vf., darf man die versuchte Einflussnahme auf die Gemeindestruktur auch nicht amtskirchlich überbewerten: der fiktive Autor befiehlt nämlich nicht, sondern empfiehlt lediglich, womit das baptistische Modell des Gemeindebundes sozusagen auf den letzten Metern exegetisch »gerettet« ist.
Für den Tagungskontext irritierend idiosynkratisch kommt der Beitrag von Strübind daher, dessen auf nahezu jeder Seite deutlich werdende Abneigung gegen den vom ihm präsentierten »Ist«-Zustand des deutschen Baptismus ihn inzwischen zum Austritt aus dem Bund geführt hat. In seiner »realistischen Ekldesiologie« erscheint der Baptismus als »eine religiös erfahrungsbezogene und dabei sehr pluriforme neupietistische Laienbewegung mit einer Latenz zur theologischen und liturgischen Verwahrlosung« (284). Strübinds deutlich werdende Verärgerung über eine, gemessen am christozentrischen Grundbekenntnis des Baptismus für ihn unhaltbare Verknüpfung von Glaubenstaufe und Gemeindemitgliedschaft darf nicht übersehen lassen, dass der Beitrag eine Reihe bedenkenswerter theologischer und religionssoziologischer Einsichten bietet. Der Vf. lässt jedoch nichts unversucht, seine Aussagen so mit sprachlichen Provokationen zu spicken, dass seine berechtigten Anfragen keine Einladung zum Dialog sind, sondern den baptistischen Gesprächspartner eher verletzen und die ökumenischen Partner irritieren müssen.
Nausners unvergleichlich freundlicher gehaltene Vorstellung der methodistischen Ekldesiologie führt zunächst über eine philosophische Hintertreppe zur These von der essentiellen Pluralität der Wirklichkeit und über eine Beschreibung des Heiligen Geistes als »Dazwischengeher« zu einem Verständnis von Identität als Verbundenheit. Beides soll zeigen, dass die Kirche „ekstatisch« ist, anders gesagt: nicht lediglich ein Tor hat, sondern wie ein Tor ist. Dass dabei vornehmlich das Tor zur Welt gemeint ist, dürfte bei Nausner darin seinen Grund haben, dass er »den kosmischen Kontext göttlichen Wirkens als einen entscheidenden Ausgangspunkt für ein volles Verständnis methodistischer Ekklesiologie« hält (159). Aber ist es für ihn nicht tatsächlich der entscheidende Ausgangspunkt? Nausner zeigt sehr treffend, dass die sich unter Erweckungsbedingungen entwickelnde methodistische Ekklesiologie sich oftmals pragmatischen Entscheidungen verdankte und sie symbiotisch unterschiedliche, auch in Spannung zueinander stehende Elemente integrierte. Nicht eingelöst wird in seiner Interpretation meines Erachtens die zitierte These Geoffrey Wainwrights, wonach Wesleys Einstellung zu aller kirchlichen Ordung »soteriologisch orientiert« war. Denn diese soteriologische Orientierung hat zwar – wie Theodore Runyon gezeigt hat – kosmische Weite, zugleich aber als ihr Zentrum die Herz und Leben von Menschen erneuernde Heilsgnade Gottes. Dieser Akzent bleibt jedoch unterbestimmt wie auch die sich um das Glauben weckende und stärkende Wort sammelnde Gemeinde in dieser Darstellung als Raum des Handelns Gottes faktisch ausfällt. Selbst das »eucharistische Nachwort«, das anderes erwarten lässt, betont einseitig, was ja als ein As¬pekt nicht falsch ist: »Die Eucharistie nimmt den Gläubigen hinein in das zentrale Geschehen der Geschichte der Welt« (178).
Mit den Beiträgen von Neumann, Thönissen und Hardt informiert die römisch-katholische Seite in gediegenen Darstellungen über den Weg der eigenen Ekklesiologie sowie über sich gegenwärtig stellende, auf das Leben der Kirche zurückwirkende Herausforderungen. Dabei ist unverkennbar, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Tür für ökumenische Annäherungen geöffnet hat, in einigen ekklesiologischen Fragen weiterhin deutliche Differenzen auch mit den Freikirchen bestehen, während praktische gesellschaftliche Herausforderungen vor Kirchengrenzen nicht Halt machen. Sehr informativ ist auch der Beitrag aus der Herrnhuter Brüdergemeine von Gärtner.
Nach der Lektüre des Bandes bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. In formaler, tagungstechnischer Hinsicht drängt sich die Frage auf: Was ist konkret das Mandat der entsandten freikirchlichen Vertreter? Soll im Gespräch mit dem Paderborner Institut die mehr oder weniger eigenwillige Perspektive von Fachwissenschaftlern, die – aktuell – Freikirchler sind, im Vordergrund stehen oder eine natürlich nie wertungsfreie, biographisch unberührte, aber doch um Vertretung der eigenen Glaubensgemeinschaft stärker bemühte Sichtweise? In inhaltlicher Hinsicht zu bedauern ist die für einen Freikirchler zutiefst verstörende Ausblendung des Sendungscharakters, also der missionarischen Essenz der Ekklesia. Die einzigen näheren diesbezüglichen Bezugnahmen finden sich in dem am Ende des Buches abgedruckten biblischen Besinnungen von Stolze und Oeldemann! Das gibt nicht nur zu denken, es markiert auch die Grenze dieser Aufsatzsammlung, die so gesehen gerade als Problemanzeige ökumenischer Theologie und Verständigung ihren Wert hat.
Christoph Raedel

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Kirche und Gemeinde in freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht

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Kirche und Gemeinde in freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht

Neumann, Burkhard/Stolze, Jürgen/Demandt, Johannes/Dziewas, Ralf/Gärtner, Niels/Hardt, Michael/Heinze, André/Lindfeld, Tim/Nausner, Michael/Oeldemann, Johannes/Strübind, Kim/Thönissen, Wolfgang/Dillmann, Rainer

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