Rezension
Göttinger Tageblatt, 20. August 2011
Als »Uhlhörner« sind die (ehemaligen) Bewohner des Göttinger Gerhard-Uhlhorn-Konvikts bekannt. Dort haben viele Theologen der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover zu Beginn ihres Studiums die alten Sprachen gelernt. Eine Studie über das Haus, das 2006 im Zuge von Sparmaßnahmen aufgelöst wurde, hat der Theologe Dr. Andreas Ohlemacher verfasst. Seine Arbeit lag zehn Jahre lang im Landeskirchlichen Archiv in Hannover. Nun hat der Verlag Edition Ruprecht eine aktualisierte Fassung veröffentlicht. Es waren die Theologieprofessoren Emanuel Hirsch und Johannes Hempel, die die Eröffnung des Konvikts vorantrieben, berichtet Ohlemacher. Anfang der 1930er Jahre besuchten immer weniger angehende Theologen ein altsprachliches Gymnasium. Damit ergab sich die Notwendigkeit, ihnen zu Beginn des Studiums Latein, Griechisch und Hebräisch zu vermitteln. Denn, so wurde bei der Eröffnung 1932 der schwedische Erzbischof Nathan Soederblom zitiert, »die Philologie ist das Nadelöhr, durch das die theologischen Kamele in das Reich der Gottesgelehrtheit eingehen.« Noch aus einem zweiten Grund war ein Konvikt, in den die Studenten einen christlichen Lebensstil einübten, notwendig. Es gab in jenen Jahren eine Reihe junger Menschen, die sich mit Blick auf die hohe Arbeitslosigkeit für den sicheren Pastorenberuf entschieden. Sie brachten keine »inneren Beziehungen zu den Lebenskräften des Christentums« mit, hieß es in einem Dokument, das Ohlemacher fand. Während des Dritten Reichs war das Konvikt eine »ganz normale Einrichtung« schreibt der Autor vielsagend. Dem Zeitgeist entsprechend hieß das Konvikt nun »Kameradschaftshaus der Deutsch-Christlichen Studentenvereinigung«. Einziehen durften nur Personen, die den »Ariernachweis« vorlegen konnten und den Reichsarbeitsdienst abgeleistet hatten. Alle Studenten gehörten der Sturm-Abteilung (SA) an. Als SA-Männer trieben die angehenden Pastoren regelmäßig Wehrsport und sangen antisemitische Lieder, fand Ohlemacher heraus. Mit Kriegsbeginn sanken die Studentenzahlen. Zum Schluss nutzte die Wehrmacht das Haus in der Robert-Koch-Straße als Lazarett. Nach 1945 kämpfte der Trägerverein jahrelang um die Rückgabe des Hauses. Die britischen Besatzer hatten kranke Polen im Konvikt untergebracht. Gleichzeitig verfolgte die Stadtverwaltung eigene Pläne. In einem Schreiben heißt es, die Stadt wolle dort »künftig geschlechtskranke Frauen und an Krätze erkrankte asoziale Elemente« unterbringen. 1952 konnte die Einrichtung dann endlich unter dem neuen Namen Gerhard-Uhlhorn-Studienkonvikt wieder eröffnet werden. Uhlhorn (1826-1901) gilt als erster Landesbischof von Hannover, schreibt Ohlemacher. Uhlhorn hatte zuvor in Göttingen als Privatdozent gewirkt. Konfliktreich ging es in den 1960er Jahren im Konvikt zu. Damals arbeitete dort der spätere Göttinger Landessuperintendent Hinrich Buß. Er erzählte Ohlemacher, was für ein Skandal es war, als sich der erste Student weigerte, einen Theologen mit »Herr Professor« anzureden. Ein anderer Student sprach mittags vor dem Essen zur allgemeinen Heiterkeit ein »Spaßgebet«. Als ihn die Hausleitung des Raumes verwies, blieb er sitzen. 1997 musste das Konvikt aus dem eigenen Haus in der Robert-Koch-Straße 2 ausziehen. Eine Kanzlei übernahm das Gebäude. Das Konvikt kam im Evangelischen Studienhaus am Kreuzberg, Von-Bar-Straße 2/4, unter. 2006 ließ die Landessynode das Studienhaus schließen. Etwas vom Uhlhorn-Geist lebt im Evangelischen Studienhaus Göttingen, Oberen Karspüle 30, weiter, schreibt Oberlandeskirchenrat Michael Wöller im Epilog.
Michael Caspar